Die Geishas des Captain Fishby
Ich glaube, ihr
Vater ist ein armer Mann gewesen. Er hat sie deshalb verkauft.“
„Verkauft?“ wiederholte Fisby
entsetzt.
„Ja, Chef. Vielleicht ist Herr
Motomura oder irgendein anderer zufällig in ihr Dorf gekommen, als sie noch ein
ganz kleines Mädchen von sechs oder sieben Jahren war. Und da sie so hübsch
aussah und ihm gefiel, hat er zu ihrem Vater gesagt: ,Wissen Sie, ich kaufe sie
und mache aus ihr eine Geisha.’ Und so hat er sie auch gekauft und auf die
Schule geschickt.“
„Auf die Schule?“
„Freilich. Sie mußte singen und tanzen
und das Dahisenspiel lernen und ebenso die Teezeremonie und das feine Benehmen,
und wie man Blumen steckt und mit den Männern spricht, damit sie wieder neuen
Lebensmut bekommen. Und als sie das alles konnte, hat ihr Herr ihr schöne
Kimonos, und was sie sonst noch brauchte, gekauft, damit sie für ihn arbeiten
konnte.“ Fisby nickte verstehend. „Und dann müssen also diese Mädchen ihrem
Besitzer alles, was er für sie ausgegeben hat, zurückzahlen und noch Zinsen
obendrein?“
„Ja, Chef. Nur manchmal werden sie nie
damit fertig, weil ihm immer wieder etwas einfällt, was sie ihm noch schulden.“
Fisby blickte sinnend hinaus auf das
nahe Meer.
„Ja, aber was habt ihr sonst noch in
Naha gemacht?“ fragte er schließlich.
„Wir blieben so lange im Cha ya, bis
unser Geld alle war“, antwortete Sakini. „Dann gingen wir durch die Straßen,
sahen uns die Schaufenster an und die Verkaufsbuden und wanderten manchmal zu
den Gräbern der reichen Leute. Und wenn wir dann müde waren, zogen wir zum
,Goldenen Drachen’, dem größten und schönsten Cha ya im ganzen Tsuij-Viertel.“
Sakinis Augen glänzten verträumt. „Wir setzten uns vor dem Haus unter einen
Baum und beobachteten die großen Leute von der Regierung, die in ihren Rikschas
angefahren kamen. Dann sangen die Geishas, und wir konnten von draußen alles
hören und auch riechen, daß drinnen Reis und Schweinefleisch gekocht wurde.“ Er
lächelte in der Erinnerung an all das einst Erlebte. „Die großen Leute von der
Regierung kamen wohl oft ins Teehaus?“ fragte Fisby.
„Ja, sie standen ja oft vor
schwierigen Aufgaben, und dann konnten sie dort alles bei einer Tasse Tee
besprechen und vielleicht die Geishas bitten, ihnen bei der Lösung der Probleme
zu helfen.“
Fisby vermochte ein Lächeln kaum zu
unterdrücken. Er mußte daran denken, einmal gelesen zu haben, daß Jefferson und
Monroe und andere Mitglieder des Abgeordnetenhauses sich nach einer stürmischen
Sitzung mit dem Königlichen Gouverneur von Virginia in das Apollozimmer der
Raleigh Tavern in Williamsburg zurückgezogen und dort bei einer Tasse Kaffee
die Pläne für die Gründung der amerikanischen Nation beraten hatten. Aber noch
etwas anderes fiel ihm ein, und sein Gesicht umwölkte sich. „Und ihr habt immer
gern dort vor dem ,Goldenen Drachen’ gesessen?“
„O ja, Chef. Das war jedesmal
wundervoll. Nur kam mein Großvater dann leider immer und sagte: ,Komm, Sakini,
wir müssen jetzt nach Haus.’ Das liebte ich gar nicht.“
„Warum nicht?“
Sakini zuckte die Schultern. „Hier in
Tobiki hatten wir doch kein Cha ya.“
„Und was machtet ihr denn sonst hier
im Dorf?“
„Was wir hier machten? Wir steckten
süße Kartoffeln, wir hackten süße Kartoffeln, wir buddelten süße Kartoffeln
aus. Manchmal ging ich am Abend zu Naka-mura San. Sie kennen ihn nicht, Chef.
Er ist gestorben, ehe Sie hierherkamen. Er hatte dreißig oder vierzig Jahre auf
Hawaii gelebt. Dort arbeitete er auf einer Ananasplantage und hat Englisch
gelernt. Und von ihm habe ich dann Englisch gelernt. Und wenn es dunkel wurde —
nun, dann ging ich zu Bett.“
„Und da hast du wohl von Naha
geträumt?“
Sakini nickte grinsend. „Vielleicht.
Aber nun bekommen wir ja hier auch ein Teehaus. ,Goldblume’ sagt, es wird
schöner werden als der ,Goldene Drachen’, weil im Tsuij-Viertel alles so eng
war, und hier ist Platz genug.“
Eine leise Angst malte sich plötzlich
in Sakinis Gesicht. „Sie haben doch nichts dagegen, Chef, daß wir hier ein Cha
ya bauen?“
Fisby schwieg einen Augenblick und sah
versonnen auf das geschäftige Treiben ringsum, auf die schwitzenden Arbeiter,
die die Kiefern weit von den Bergen heranschleppten. Insgeheim schämte er sich,
daß er die Menschen hier so falsch beurteilt hatte. Er hatte geglaubt, daß
seine Beamten nur hinter leichten Mädchen her seien, während sie in Wahrheit
von einer ehrfürchtig scheuen
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