Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
vermuten, dass es ein eindrückliches Erlebnis in meinem Leben gegeben haben müsse. Aber da ist nichts. Die mysteriöseste Erfahrung verbinde ich bis heute mit der internistischen Praxis meines Vaters. Ich muss etwa dreizehn Jahre alt gewesen sein und hatte Edgar Allen Poes Geschichte »Das verräterische Herz« gelesen. Es geht darin um eine unheimliche Mordgeschichte, in der eine Person umgebracht und unter dem Dielenboden verscharrt wird. Bald plagt den Mörder sein Gewissen, und er hört das Herz des Ermordeten schlagen. Er wird fast wahnsinnig, bis er den Mord schließlich gesteht.
Diese Geschichte hatte ich gelesen, und sie führte zum unheimlichsten Erlebnis, das ich bis heute hatte: In unserem Haus in Neustadt war zu wenig Platz, als dass jedes Kind ein eigenes Zimmer hätte haben können. Deshalb schlief ich im Esszimmer auf der Couch, die ich jeden Morgen räumen musste. Eines Nachts lag ich da, die Fensterläden waren geschlossen, es war stockdunkel. Irgendwann wachte ich auf und glaubte, laut und deutlich ein Herz schlagen zu hören: Bawumm, bawumm, bawumm. Es kam aus dem Wohnzimmer, das eine gemeinsame Wand mit dem Esszimmer hatte. Es war so deutlich und so laut, dass ich erst dachte: Ich muss träumen. Oder höre ich gerade mein eigenes Herz? Schließlich wurde ich richtig wach und konnte nicht mehr daran zweifeln, dass ich laut und vernehmlich das Schlagen eines menschlichen Herzens hörte. Ich bekam eine Riesenangst. Dennoch riss ich mich zusammen, stand auf und tappte durch das dunkle Zimmer zur Tür. Dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, öffnete vorsichtig die Tür, huschte über den Flur und machte langsam die Tür zum Wohnzimmer auf. Und was sah ich? Meinen Vater, der am Tisch saß und arbeitete. Er hatte von einer Pharmafirma eine Schallplatte mit Herztönen zugeschickt bekommen. Es handelte sich um eine Lehrschallplatte, mit deren Hilfe man verschiedene Herztöne voneinander unterscheiden konnte. Er hatte sie so laut abgespielt, dass ich im Esszimmer davon wach wurde.
Obwohl ich es mir nun erklären konnte, war es für mich das Erlebnis, das mir den Weg in eine neue Welt eröffnen sollte.
Dem neugierigen Buchhändler von Neustadt im Schwarzwald erzählte ich allerdings nicht, dass ich für solche Erfahrungen seitdem offener war.
»Ich fürchte«, sagte er, »dass wir zur Parapsychologie nichts dahaben.« Er griff gleich nach einem der grünen Kataloge, in denen damals alle lieferbaren Bücher gelistet waren. Wir stießen lediglich auf fünf lieferbare Titel über Parapsychologie. Ich kaufte den günstigsten Band: Parapsychologie. Die Wissenschaft von den okkulten Erscheinungen von Hans Driesch. 4 Der Band war schmal, aber er enttäuschte mich nicht. Driesch war Professor für Philosophie in Leipzig gewesen und bereits verstorben. Als ich mehr über ihn erfuhr, stellte ich fest, dass er einer der Pioniere der Parapsychologie gewesen war und in ständigem Austausch mit berühmten Forschern seines Faches in England und in Amerika gestanden hatte. Sein Buch, zusammen mit dem von Hans Bender, wurde zu einem Schlüsselerlebnis für mich. Die beiden Wissenschaftler wurden, wenn man so will, meine ersten beruflichen Idole. Sie schienen die wesentlichen Fragen des Lebens zu behandeln, wagten sich an Grenzen der Wissenschaft heran und wollten den Menschen helfen. Warum sollte ich nicht in ihre Fußstapfen treten?
Am naturwissenschaftlich-neusprachlichen Gymnasium in Neustadt wunderte sich niemand über mein aufkeimendes Interesse an der Parapsychologie. Wir trafen uns nach der Schule zu Arbeitskreisen, malten oder debattierten und fuhren sogar, als es schon auf das Abitur zuging, mit unserem Chemielehrer zum Chemischen Kolloquium der Universität Freiburg. Es war für alle selbstverständlich, dass man sich nicht nur für das Wissen interessierte, das im Lehrplan stand. Die Schule war damals, zumindest in meiner Erinnerung, eine große Spielwiese, auf der man alles erforschen durfte, wofür man sich interessierte. In der Abiturklasse waren wir auch nur fünfzehn Schüler. Zudem hatte ich in gewisser Weise »Narrenfreiheit«, weil meine Mathematiklehrerin zu dem Schluss gekommen war, dass sie mir nichts mehr beibringen könne, und mich vom Unterricht befreite. Während dieser Zeit durfte ich im Physikpraktikumsraum der Schule auf eigene Faust Experimente durchführen. Mein Vater musste lediglich unterschreiben, dass er für eventuelle Schäden aufkommen würde. Passiert ist nie etwas. Ich
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