Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
bestimmten Zeit ohnehin wieder verschwindet). Ich fungierte vielmehr als »Übersetzer«. Ich brachte dem jungen Mann die Sorgen der Eltern nahe und erklärte ihm, nachdem er mich als Fachmann für Magie akzeptiert hatte, dass ein guter Magier nicht aneckt; er versucht nicht, gegen die Menschen, sondern für und mit den Menschen zu leben. Ein Magier, sagte ich ihm, sondert sich nicht in seiner eigenen Welt ab.
Er dachte lange darüber nach, nickte aber am Ende verständig. Bald wunderte er sich, wie er einen solch »wichtigen Grundsatz der Magie« habe missachten können. So gelang es, ihn sanft zurück in die Wirklichkeit seiner Eltern zu führen.
Es war nicht immer leicht, die Gemüter zu beruhigen. Sosehr ich beim Aufbau der Beratungsstelle auf die Hilfe der Medien angewiesen war, so sehr verursachten sie manchmal neue Probleme. Ich erinnere mich an einen Beitrag in einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, der mit der Warnung angekündigt wurde, wer Probleme mit dem Herzen habe, solle besser abschalten, weil man eine »authentische schwarze Messe« zeigen werde. Diese Messe sollte angeblich in Saarbrücken gedreht worden sein. Was sah man? Fünf nackte Männer, die um ein Feuer liefen und Unsinn grölten. Die Aufnahmen waren verwackelt und in Schwarz-Weiß, die Männer wiederholten immer wieder dieselben Worte: »Nieder mit dem Christe.«
Ich beschloss, der Sache nachzugehen: Gab es eine satanistische Szene in Saarbrücken, die schwarze Messen abhielt? Es stellte sich heraus, dass die Ankündigung des Beitrages bereits das Interessanteste daran war. Der junge Mann, der als Protagonist des Beitrages fungierte, war stadtbekannt. Ein »Schlawiner«, der, so behauptete er zumindest, gemeinsam mit vier Freunden gegen ein Honorar vor der Kamera nackt um das Feuer lief. Von einer authentischen schwarzen Messe konnte nicht die Rede sein.
Den faszinierten Zuschauer lassen solche Beiträge eher ratlos und, immer wieder, ängstlich zurück. Genau dieser Okkultismus-Hype hat dazu geführt, dass die Beratungsstelle entstand – auch wenn sich mittlerweile vor allem Menschen an uns wenden, die Paranormales erlebt haben und erleben. Menschen, um die man sich kümmern muss.
10. Kapitel:
»Was macht ihr eigentlich anders?«
Es ist Mittag in der Hildastraße, der erste Tag nach meinem Urlaub. Das Mittagessen lasse ich heute ausfallen, es würde mich zu viel Zeit kosten. Ich will mich mit einem Apfel aus dem Obstkorb in der Küche begnügen. Auf dem Weg dorthin schalte ich den Anrufbeantworter aus. Nachdem ich gerade einmal fünf Schritte weitergegangen bin, klingelt das Telefon. Ich seufze; insgeheim muss ich mir jedoch eingestehen, dass ich mich auch freue, wieder zurück bei der Beratung zu sein. Jedes Klingeln macht mich neugierig. Grundsätzlich gehe ich immer mit der Annahme an den Hörer, dass die Geschichten stimmen, die mir die Menschen erzählen.
Auch psychisch kranke Menschen leiden nicht notwendigerweise an Halluzinationen und Sinnestäuschungen. Es ist wichtig, ihnen Glauben zu schenken, aber man muss die Realität überprüfen. Einmal rief eine Frau an und sagte, bei ihr befänden sich andauernd Kleidungsstücke in der Wäsche, die ihr nicht gehörten. Kindersocken zum Beispiel. Sie habe aber keine Kinder und gehe deshalb davon aus, dass es bei ihr spuken müsse.
Ich kannte diese Frau bereits und wusste, dass sie an einer psychischen Erkrankung litt. Wenn sie die Geschichte so ihrem Arzt erzählt hätte, wäre sie Gefahr gelaufen, dass die Dosis ihrer Medikamente erhöht worden wäre. Ich aber nahm ihre Erzählung von Anfang an wörtlich und versuchte ihr Glauben zu schenken. Ich fuhr damals sogar zu ihr nach Hause und sah nach. Sie bewahrte tatsächlich eine Sammlung von Wäschestücken in einem kleinen Korb auf, die allesamt nicht zu ihr gehören konnten. Die Lösung war dann verblüffend einfach: Die Frau hat ihre Wäsche in einer Gemeinschaftswaschmaschine im Haus gewaschen. Die Kleidungsstücke kamen von Nachbarn, die zuvor ihre Wäsche in der Maschine gewaschen hatten, und hatten sich im Gummirand der Trommel verfangen.
Diese Erklärung scheint fast zu simpel zu sein. Aber sie ist wichtig für jemanden, der die Angst mit sich herumträgt. Wie muss sich ein psychisch kranker Mensch fühlen, wenn man ihm einredet, dass reale Dinge »nur ein Teil der Krankheit« seien? Wobei es für psychisch Kranke doch gerade darauf ankommt, den Unterschied zwischen Wahn und Wirklichkeit wieder zu erlernen. Eine
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