Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
dem du gerade erklärt hast, dass die Bremse nicht funktioniert, wenn er antworten würde: ›Wir nehmen Sie ernst!‹?« Sie schaute mich verblüfft an.
Das ist also mein entscheidendes Argument: Nur wenn der Psychologe weiß, welche paranormalen Phänomene denkbar sind, wird er richtig handeln.
Einmal meldete sich eine Frau, die von einem Spuk berichtete. Ihre Authentizität war beeindruckend. Ich war überzeugt und ergriffen von ihrer Darstellung. Sie war kritisch, sie konnte präzise schildern, sie wusste auf jede meiner Fragen eine Antwort. Ganz am Ende ihrer Erzählung sagte sie mir, dass sie in einer Psychotherapie gewesen sei. Ich war verwundert. Niemand schien mir weniger psychisch auffällig zu sein als diese Frau – und doch hatte der Arzt zu einer Therapie geraten.
»Weißt du«, sagte ich zu meiner Schwester, »ich behaupte ja gar nicht, dass nicht manche meiner Klienten in einer Psychotherapie gut aufgehoben wären. Aber ich behaupte, dass man vielen eine Therapie ersparen kann, weil sie, trotz Spukerlebnis, vollkommen gesund sind.«
Um meine Ansicht zu untermauern, erzählte ich ihr von einem Spukfall, der sich im Norden Deutschlands abgespielt hatte. Eine alleinerziehende Mutter von sechs Kindern hatte sich gemeldet. Soweit ich das beurteilen konnte, schien sie mir eine patente Frau zu sein. Ich telefonierte eine Stunde lang mit ihr. Sie berichtete von einem »Standardspuk«: Gegenstände flogen durch die Luft, geschlossene Türen öffneten sich von selbst, es waren unerklärliche Geräusche zu hören. Ich stellte ihr Standardfragen: Wie alt sind die Kinder? Was machen Sie beruflich? Wie und wann nehmen Sie die Erlebnisse wahr?
Während sie sprach, stellte ich mir immer wieder selbst die Fragen: Berichtet die Frau präzise und differenziert? Hat sie fixe Ideen? Nichts deutete aus meiner psychologischen Erfahrung darauf hin, dass eine psychische Erkrankung hinter ihrem Bericht steckte. Im Gegenteil, sie war überzeugt, dass sie selbst gerade im Begriff war, verrückt zu werden, und machte nicht die Welt um sich herum dafür verantwortlich. Drei ihrer Kinder waren in der Pubertät, und mir kam es so vor, als sei sie mit der Sorge um die Familie überfordert. Sie brauchte sehr wahrscheinlich eine Haushaltshilfe, um den Stress in den Griff zu bekommen, dem sie ausgesetzt war. War die Überlastung der Auslöser für den Spuk?
Sie war, erzählte sie mir, beim Hausarzt gewesen, der sie schließlich zum Psychiater überwiesen hatte. Dieser überwies sie nach einem kurzen Gespräch in die Psychiatrie. Ich rief ihn an. Das Gespräch verlief aus meiner Sicht sehr unerfreulich. Er sagte überzeugt und mit fester Stimme: »Ich habe festgestellt, dass die Frau psychotisch ist. Sie muss in die geschlossene Anstalt.«
»Wie bitte? Das ist doch nicht Ihr Ernst! Wer soll dann die Kinder nehmen?«
Der Arzt wirkte genervt.
»Na, die kommen in ein Heim«, sagte er und verabschiedete sich. Tatsächlich wurde die Frau in die Psychiatrie überwiesen. Nach ihrem Aufenthalt hatte ich noch einmal Kontakt zu ihr. Sie nahm inzwischen Psychopharmaka, die Spukphänomene waren verschwunden. Aber ein entscheidendes Problem blieb: Die Frau war nun stigmatisiert wegen ihres Aufenthalts in der Psychiatrie.
Früher, im Mittelalter, hatte man es in dieser Hinsicht »besser«. Wer im Mittelalter einen Spuk erlebte, musste nicht zwangsläufig fürchten, für verrückt erklärt zu werden. Damals war Spuk ein Ausdruck von dämonischen Mächten oder ein Ausdruck des Teufels. Das Phänomen Spuk wurde eingekleidet, dem Spuk wurde eine einfache Erklärung zugeordnet. Zur Lösung des Problems kam der Pfarrer ins Haus und verspritzte Weihwasser. Wenn man Glück hatte, war dann alles vorbei.
Heute interpretieren viele den Spuk spiritistisch: Sie glauben, die Geister der Verstorbenen seien am Werk. Der animistischen Einkleidung zufolge sind beim Spuk Seelenkräfte am Werk. Jeder hat zunächst die Auswahl, wie er einen Spuk einordnen will, welche Einkleidung er wählt: Steckt der Teufel dahinter? Ein Verstorbener? Die Kraft der Gedanken?
Auch wenn aus meiner Sicht bei einem echten Spuk keine dieser Einkleidungen zutrifft – ich würde keine dieser Erklärungen als Humbug bezeichnen. Warum?
Wenn eine Frau zu mir kommt und sagt, ihr verstorbener Ehemann spuke nachts in ihrem Zimmer, dann ist das zunächst einmal ihr persönlicher Erklärungsversuch. Ich höre mir diese Erklärung an und überlege, ob sie für die Frau eine Hilfe ist
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