Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
Abständen immer wieder auftreten, werfen bei uns die Frage auf, ob es sich dabei vielleicht um sogenannte übersinnliche Wahrnehmungen handeln könnte, um die Form einer Kontaktsuche aus einer jenseitigen, geistigen Welt. Wenn dem so wäre, könnte es sich entweder um unsere Großmutter handeln, die jahrzehntelang in diesem Raum lebte – oder aber um eine alte Dame, die meiner Schwester Zeit ihres Lebens herzlich zugetan war.
Es wäre für uns interessant zu erfahren, ob es sich bei dem geschilderten Phänomen nach Ihrer Erfahrung um ein übersinnliches handeln könnte und, vor allem, wie man darauf richtig reagiert.
Für die Kenntnisnahme meines Schreibens danke ich Ihnen und verbleibe mit freundlichem Gruß.
Ich lege das Schreiben zur Seite und beginne schon mit den Notizen für ein persönliches Gespräch, als ich mich doch für eine E-Mail entscheide. Der Fall scheint mir nicht akut zu sein, also öffne ich eine neue E-Mail und schreibe ihr auf diesem Wege:
Guten Tag,
vielen Dank für Ihr Schreiben an die Parapsychologische Beratungsstelle.
Ihr Fall ist durchaus ungewöhnlich, weil mehrere Personen dasselbe Tier wahrnehmen.
Zur Erklärung muss man in die Anthropologie schauen. Es wird sehr häufig berichtet, dass sich mit dem Ableben von Menschen das Verhalten von Tieren verändert. In den vorzivilisatorischen Gesellschaften gibt es die Tradition, Tiere und Menschen in einen Zusammenhang zu stellen. Jeder Mensch hat gewissermaßen ein Identifikationstier, ein symbolisches Tier, das ihm entspricht. Dieses Muster findet man auch heute immer noch.
Therapeuten fragen ihre Patienten deshalb oft: Welches Tier wären Sie gern, wenn Sie eines sein könnten? Der eine wäre gerne ein Adler, der andere ein Löwe und der nächste ein Bär. Identifikationstiere drücken bestimmte Hoffnungen und Wünsche von Menschen aus. Nicht zuletzt haben die Menschen deswegen Tiere in ihre Wappen genommen. Ihre Präsenz soll Stärke oder Klugheit oder auch Gemeinschaft ausdrücken. Natürlich gibt es auch Tiere, mit denen sich niemand identifizieren mag. Aber auch das bedeutet, dass wir Tieren eine Bedeutung zurechnen.
Eine andere anthropologische Konstante ist, dass wir den Tod als einen Übergang begreifen. Viele Kulturen glauben nicht, dass der Tote tot ist, sie glauben, dass er in ein anderes Reich geht, das vielleicht gar nicht so weit weg ist. Er vollzieht also einen Übergang, und dieser Übergang wird durch verschiedene Bilder symbolisiert. Der Schmetterling ist ein beliebtes Bild. Wenn der Mensch stirbt, so die Vorstellung, macht er eine Verwandlung durch wie einst der Schmetterling, der sich aus der Raupe beziehungsweise der Puppe befreit und schließlich frei wird und fliegt. Ein anderes Symbol für den Tod ist deshalb der Vogel. Aus demselben Grund: Er kann fliegen, er ist frei. Deshalb kommt es auch nicht von ungefähr, dass in vielen Kulturen die Seele mit einem Vogel identifiziert wird.
Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung bezeichnet solche Symbole als Archetypen des »kollektiven Unbewussten«, wenn man so will als »menschliches Weltkulturerbe«. Sie sind in allen Menschen vorhanden – auch bei jenen, die das nicht wissen. Jung hat angenommen, dass bestimmte Symbole und Figuren, sogenannte Archetypen, in unserem Unbewussten vorhanden sind. Sie werden in bestimmten Situationen aufgegriffen. Dass Vögel im Zusammenhang mit Todesfällen erscheinen oder gehört werden, würde dieser Jungschen Vorstellung von einem Archetyp entsprechen.
Interessant ist in Ihrem Fall natürlich, dass eine Person den Vogel sogar hört. Aber wir wissen, dass der Mensch in existenziellen Situationen, in denen er tief berührt ist, Ungewöhnliches erlebt. Mir hat einmal ein Mann berichtet, dass sich nach dem Tod eines seiner Söhne immer wieder Vögel in seiner Umgebung seltsam auffällig verhalten hätten. Sie seien zu ihm geflogen und hätten sich neben ihn gesetzt, ganz so als wollten sie sich mit ihm unterhalten. Der Mann war ein nüchterner Mensch, dem solche Gedanken fernlagen. Er erklärte mir aber, dass er die Nähe der Vögel als ungeheuer tröstlich erlebt habe, weil sie ihm das Gefühl vermittelten, die Seele seines verstorbenen Sohnes sei anwesend.
Dieses Beispiel entspricht exakt der archetypischen Vorstellung von Carl Gustav Jung.
Nun werden Sie sich fragen, warum Menschen so etwas erleben. Ich sage Ihnen: Betrachten Sie diese Begegnung als eine Art Abschiedsgeschenk. Der Verstorbene will sich von Ihnen
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