Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
Sozialpsychologisch ist es das Schlimmste, was einem passieren kann: Die Verfluchung ist höchst wirksam, auch wenn wir es nicht glauben wollen.
Zwischenmenschliche Katastrophen kommen jeden Tag vor; allerdings wird im Bekanntenkreis nicht besonders oft darüber gesprochen. Verfluchung oder, wenn man so will, schwarze Magie ist ein Tabu. Ich glaube nicht, dass schwarze Magie so funktioniert, wie sie in Voodoo-Filmen dargestellt wird. Wenn es denn ginge – hier eine Puppe, der in den Kopf gestochen wird, dort ein Mensch, den prompt Kopfschmerzen heimsuchen –, so wäre das sehr interessant, weil wir dann ein zuverlässiges Phänomen vor uns hätten, das man untersuchen könnte. Es gibt aber keine Signalübertragung, sondern sehr wahrscheinlich eine Form der Verschränkung: Wenn jemand verflucht wird, entsteht eine starke Verschränkung zwischen demjenigen, der den Fluch ausspricht, und dem Betroffenen. Der Betroffene kann an nichts anderes mehr denken als an den Fluch. Er ist ständig damit beschäftigt, den Fluch zu überdenken, er verbringt in Gedanken den ganzen Tag damit. Wenn er versucht, den Fluch wegzudrängen, wird es ihm nicht gelingen. Schließlich kommt die synchronistische Überschwemmung hinzu. Ein Unglück scheint das andere zu jagen. Es entsteht eine Kette von Unglücksfällen. Man kann nicht genau sagen, ob die Menschen ihre Umwelt nun selektiv wahrnehmen, ob sie also nur noch Ereignisse sehen und erleben, die Unglück bedeuten, oder ob es die Häufung von Missgeschicken tatsächlich gibt.
Ich bin überzeugt, dass es so etwas gibt: Menschen können vom Unglück verfolgt werden. Wir reden aber kaum darüber, und je weniger wir darüber reden, desto weniger kann man den Menschen helfen. Die Ursache für ein solches Phänomen ist die synchronistische Überschwemmung, für die der verhexte Mann vermutlich selbst die Voraussetzungen schafft. Man kann im positiven Sinne und im negativen Sinne synchronistisch überschwemmt werden. Es gibt die »Glückshäute«, ein Märchenmotiv, das sich in der Wirklichkeit bei denjenigen findet, die von sich selbst sagen: Ich habe immer Glück, ich bin ein Glückspilz! Wenn ich in die Stadt fahre, kriege ich einen Parkplatz. Wenn ich zu spät zum Zug komme, dann hat der gerade auch noch Verspätung. Dieser positiven synchronistischen Überschwemmung liegt derselbe Mechanismus zugrunde wie der negativen synchronistischen Überschwemmung: In beiden Fällen geht es darum, dass sich Zufälle selbst organisieren können. Das hat zunächst nichts mit der Wertigkeit der Zufälle zu tun, also damit, ob etwas Gutes oder Schlechtes geschieht. Es hat mit der Bedeutung zu tun. Bedeutsame Ereignisse können im Leben eines Menschen »clustern«, sie können gehäuft vorkommen. Das klingt zunächst seltsam. Normalerweise erwarten wir, dass Ereignisse in der Welt gleichmäßig verteilt auftreten. Aber ist es wirklich so?
Nehmen wir an, wir sind mit dem Auto auf einer Landstraße unterwegs. Es scheint wie ein Gesetz zu sein: Immer wenn es auf der Straße eine Überholmöglichkeit gibt, fährt bestimmt ein Lkw so weit vor uns, sodass wir noch keinen Überholvorgang starten können. Wenn es dagegen keine Überholmöglichkeit gibt, dann ist der Lkw immer direkt vor uns, beziehungsweise wenn der Lkw direkt vor uns ist, gibt es keine Überholmöglichkeit. Es kommt uns so vor, als wären die Lkw immer dort, wo man sie gerade nicht überholen kann.
So ähnlich wie mit dem Lkw ist es mit den bedeutungsvollen Vorkommnissen. Paul Kammerer ging schon Anfang des vergangenen Jahrhunderts in seinem Buch Das Gesetz der Serie 41 der Frage nach, warum die Feuerwehr es so oft mit Serien von Bränden zu tun hat. Eine dahinterliegende Annahme ist, dass bedeutsame Ereignisse immer in Gruppen auftreten – es passiert lange nichts, dann passiert ganz viel. Lange Zeit bekommen wir keinen Anruf, dann versuchen plötzlich zwei Menschen gleichzeitig, uns zu erreichen – noch während wir telefonieren. Aber ist einem sogenannten Verfluchten mit dieser Erklärung geholfen?
Der Mann, der mir in dem Brief über seine Exfrau schreibt, kann sich – eventuell unter Anleitung – selbst helfen. Er muss versuchen, die Bedeutung, die mit den Ereignissen verbunden ist, zu verändern. Die moderne Psychotherapie nennt dieses Verfahren »Re-Framing«, ein Begriff, der vom englischen Wort frame , also »Rahmen«, kommt: Man muss den Dingen einen neuen Rahmen geben, man muss sie neu bewerten, so wie wir es bei der
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