Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
geschehen wäre. Während der ganzen Zeit machte ich eine Beobachtung auf dem Wohnzimmertisch. Klaras Brille lag auf der Fernsehzeitung, und ich traute meinen Augen nicht, als sich die Brille ganz langsam hob und genau so langsam wieder auf die Zeitung zurücksank. Klara fuhr kurz hoch, sah den Hund noch in seinen komischen Bewegungen, dann ging der Hund zu ihr hin und legte den Kopf in ihren Schoß.
Gleich beim zweiten Satz ist mir klar, wer Klara ist. Wir hatten einmal Mailkontakt, als sie um einige Informationen bat. Später telefonierten wir miteinander, und ich bat sie um Zeugenberichte, da sie von mehreren Vorkommnissen in Gegenwart ihrer Freunde berichtet hatte. Ich wähle ihre Nummer, und nach einem Freizeichen ist sie am Apparat. Sie scheint sich über meinen Anruf zu freuen.
»Sagen Sie«, frage ich, »wie geht es Ihnen im Moment mit den Ereignissen? Nehmen die Sie immer noch so mit?«
»Sie haben fast ganz aufgehört«, sagt sie und lacht leise. »Alles gut. Fast schon langweilig.«
»Ich habe gerade den Brief Ihrer Freunde in der Hand, in dem diese beschreiben, wie der Hund in die Luft …«
»… und dann angeblich an der Schrankwand herunterrutscht. Ich erinnere mich, das haben sie mir erzählt. Herrgott, waren die aufgeregt. Mir machen diese Phänomene keine Sorgen, ich kann damit umgehen. Nur hätte ich gern eine Erklärung, um meine Freunde zu beruhigen.« Klara ist angenehm forsch und auf gewisse Weise herzerfrischend.
»Wir verstehen den Spuk noch nicht gänzlich«, sage ich, »aber eine denkbare Erklärung ist, dass es sich dabei um eine Externalisierung von psychischen Problemen handelt.«
»Aber mir geht’s doch gut. Und wie soll denn ein psychisches Problem den Schrank in meinem Schlafzimmer umwerfen, wie es neulich passiert ist?«, fragt Klara.
»Meiner Ansicht nach sind Sie eine Fokusperson. Ihre Anwesenheit löst etwas in Ihrer Umgebung aus. Mittlerweile wissen Parapsychologen, dass ein Mensch mit einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur in der Lage ist, psychische Verarbeitungsprozesse in seiner Umgebung stattfinden zu lassen, statt dass sie sich nur im Kopf abspielen. Man muss eine solche Fähigkeit nicht therapieren. Spuk ist meiner Meinung nach ein Zeichen für Gesundheit, kein Zeichen von Krankheit. Das Gesunde ist, dass der Spuk Sie auf ein Problem hinweist, dem Sie vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit schenken.«
»Was für ein Problem meinen Sie?«
»Das frage ich Sie.«
Und dann reden wir eine halbe Stunde lang über Klaras schwere Trennung von ihrem Mann. Er hatte sie nach 27 Ehejahren betrogen. Sie war aber der festen Überzeugung, sie könne allein und mit gutem Mut über die Ereignisse hinwegkommen.
»Aber so leicht, wie ich manchmal denke, ist es nicht«, gesteht sie gegen Ende des Gespräches ein. Und wie ich es oft bei meinen Klienten tue, rate ich Klara, den Spuk zu dokumentieren, falls er wieder aufflammen sollte. Und ich gebe ihr den Hinweis, dass sie sich darüber hinaus der Trauer um die verlorene Beziehung widmen könnte, damit sie ausgeglichener wird. Sie verspricht es mir.
Als ich die beiden nächsten Kuverts öffne, sehe ich, dass es sich um relativ kurze Fälle handelt. Ich lege sie schnell zur Seite, mache mir in der Küche noch einmal einen Tee und esse einen Apfel. Erst da fällt mir wieder ein, dass ich den ganzen Tag kaum etwas gegessen habe. Vielleicht hält das gute Essen aus dem Urlaub noch vor. Zurück im Büro lese ich beide Fälle in einem Rutsch. Vielleicht muss ich mir dann nur einen Zettel mit Notizen machen.
Es fing relativ harmlos an, indem die Stromsicherungen oft raussprangen. Drei verschiedene Elektriker konnten aber nichts finden. Dann begann es hauptsächlich im Wohn- und Schlafzimmer zu jeder Uhrzeit seltsam zu rauchen. Das wurde immer schlimmer, und es fielen dann auch Rußpartikel zu Boden. Es passierte immer, wenn niemand im jeweiligen Raum war. Auch dafür hatten die Elektriker keine Erklärung, da sie die Lampen mehrmals abnahmen, untersuchten und nichts fanden. Dann ließ das nach, und nun begannen die Möbel umzufallen: Schlafzimmerschränke, Wohnzimmerschrank, Schreibtisch, Schuhschränke, Bilder und Gegenstände, die irgendwo oben standen. Eines Tages kam das Telefon, das in der Garderobe stand, durch die Glastür des Wohnzimmers zu mir hereingeschleudert. Wie gesagt, es wird immer schlimmer; inzwischen fliegen Gegenstände wie Taschenlampe, Briefbeschwerer, Schnitzereien usw. durch die Luft oder in die
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