Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
und deshalb eigens den Verkäufer des Landhauses gefragt, wo der Vorbesitzer gestorben sei. (Es war, das wusste sie, überhaupt nur wegen dieses Todes frei geworden.) Er sei friedlich im Krankenhaus gestorben, bekam sie zur Antwort. Daraufhin zogen die Frau und ihr Mann ein. Doch einmal im neuen Haus, spürte die Frau etwas. Sie fühlte sich beobachtet und hatte das Gefühl, sie sei nicht allein. Es traten kleinere Spukfälle auf: Das Licht schaltete sich ein und aus, die Alarmanlage wurde ausgelöst. Der Spuk gipfelte darin, dass sie eines Tages ins Wohnzimmer ging und angeblich von der Decke, an einem Strick, einen Mann baumeln sah. Sie konnte ihn genau beschreiben: grüne Lodenjacke, Cordhose, Stiefel. Ihre Beschreibung war präzise. Schließlich stellte sich heraus: Der Vorbesitzer war keineswegs friedlich im Krankenhaus verstorben. Er hatte sich im Haus erhängt.
Man kann sich vorstellen, dass das Ehepaar wieder ausziehen wollte. Es gab eine gerichtliche Auseinandersetzung, zu der ich als Gutachter herangezogen wurde. Das passiert immer wieder, weil Spukfälle häufig wegen Schadensersatzforderungen vor Gericht kommen. In meinem Gutachten schrieb ich aber nicht, dass es spukte. Mit einer solchen Aussage wäre dem Ehepaar nicht geholfen gewesen. Ich legte in dem Gutachten dar, dass es in allen Kulturen üblich ist, Orte, an denen sich jemand umgebracht hat, zu meiden. In manchen Kulturen werden Häuser, in denen ein Mensch Selbstmord begangen hat, sogar abgebrannt. Niemand will dort noch wohnen. Das ist eine anthropologische Konstante, weil man in der vorindustriellen Kultur davon ausging, dass die Geister derjenigen, die sich selbst getötet hatten, keine Ruhe fänden und den Leuten das Leben schwer machten. Man muss das nicht wörtlich nehmen, aber man kann sagen, dass solche Tabuverletzungen – sich an einem Ort aufzuhalten, an dem sich jemand umgebracht hat – nun ja: schwierig sind. Ich schlug vor, das Verschweigen des Selbstmords als einen schweren Hinderungsgrund für die Wirksamkeit des Vertrages anzuerkennen. Das Gericht ist meiner Argumentation gefolgt.
Aber dennoch: Wie konnte es sein, dass die Frau den Suizid gespürt hatte?
In unserer Psyche sind bereits bestimmte grundlegende Vorstellungen verankert, zum Beispiel über Suizid. Sobald wir dem Phänomen Suizid begegnen, scheinen Carl Gustav Jungs Archetypen auf. Sehr sensible Menschen nehmen in einer solchen Umgebung etwas wahr. Man muss nicht unbedingt davon ausgehen, dass es die Geister der Verstorbenen sind. Aber es gibt ein Bauchgefühl, das vielleicht zwischen allen Sinnen entsteht – ein Gefühl, mit dem man, im übertragenen Sinne, zwischen den Zeilen lesen kann. Es kann sich immer mehr verstärken. Es ist wie ein Verdacht, der sich erhärtet. Es steigert sich, bis sich aufklärt, was Sache ist. Die Frau in dem Landhaus mit dem Toten im Wohnzimmer hatte eine Begabung, ungewöhnliche Stimmungen wahrzunehmen. Allein die Tatsache, dass sie Angst hatte, kann man als besondere Feinfühligkeit oder auch als Hellsichtigkeit bezeichnen. Das ist nach meiner Erfahrung eine natürliche Begabung, so wie manche Menschen musikalisch sind.
Feinfühlige Menschen haben eine gute Intuition – sie nehmen Verschränkungen wahr. Man kann es vielleicht vergleichen mit dem Moment, wenn wir ein schönes Bild betrachten. Wir sagen: Wow, das ist besonders gut gelungen! Wenn wir ein Bild als Ganzes als schön bezeichnen, dann schildern wir den Gesamteindruck. Wir gehen nicht in eine Bildergalerie und sagen: Wie ist genau der Pinselstrich? Welche Farben wurden da verwendet? Wir nehmen das Bild als etwas Ganzes und seine Stimmung wahr.
Es gibt Menschen, sogenannte Hellseher, die angeblich auf Kommando solche Bilder sehen können, wie es der Frau im Landhaus erschienen ist. Ich erinnere mich an Pascal Voggenhuber, einen jungen Schweizer, mit dem ich in einer Fernsehsendung bei Johannes B. Kerner diskutiert habe. Er empfing jedes Jahr mehrere Hundert Menschen zu Sitzungen. In einem Einspielfilm sah man, wie er einer Mutter, die ihren Sohn verloren hatte, sagte, er habe Kontakt zu ihm. Die Mutter saß ihm tränenüberströmt gegenüber, als Voggenhuber ihr erzählte, dass der junge Mann ihr einen Gruß bestelle. Es war eine eindrucksvolle Szene. Aber was steckte dahinter? Natürlich war der junge Mann ein guter Beobachter und ein guter intuitiver Psychologe. Aber ich hätte der Mutter exakt das Gleiche sagen können, ohne überhaupt mit dem Jenseits in Kontakt
Weitere Kostenlose Bücher