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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Folgejahren eine so wichtige Bedeutung in seinem Werk einnehmen sollten. Deutlich sind hier bereits stilistische Eigenheiten angelegt, die der Künstler sehr bald weiterentwickeln wird: sein Umgang mit Licht, die Komposition von hellen Farben und die Pflanzenmotive im Hintergrund – unter denen hier die Geranien und die Hortensien mit ihrer Lebhaftigkeit herausragen –, der aufrichtige Gesichtsausdruck des Modells sowie die Alltäglichkeit des Motivs, das die Frau dabei zeigt, wie sie gerade vier Kristallgläser mit einem Getränk füllt.
Der Titel steht, vom Maler eigenhändig geschrieben, auf der Rückseite der Leinwand.
Eine kuriose Ergänzung: Der auf dem Gemälde dargestellte Patio gehörte zum Wohnhaus der Familie Lax, wurde aber im Sommer 1936 umgebaut; der Boden erhielt ein Parkett, die Wände wurden mit Art-déco-Mosaiken gestaltet, und die Pflanzen und Blumen an der Mauer im Hintergrund dieses Gemäldes machten dem Fresko mit dem Titel Teresa abwesend Platz, das viele Kenner für das Meisterwerk des Künstlers halten.
 
Amadeo Lax. Der Porträtmaler (Ausstellungskatalog des Museo Thyssen-Bornemisza) , Madrid 2002
Von: Silvana Gentile
Gesendet am: 8. Februar 2010
An: Violeta Lax
Betreff: Wichtige Angelegenheit

Wir kennen uns nicht. Ich heiße Silvana und lebe mit meiner Familie in Nesso, einem Dorf am Comer See, im Norden von Italien. Ich schreibe Ihnen im Auftrag meiner Mutter, die Ihnen einen Brief zukommen lassen möchte. Könnten Sie uns bitte freundlicherweise Ihre private Postanschrift mitteilen?

In Erwartung einer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Silvana
Nesso, 10. Februar 2010

Sehr geehrte Violeta Lax,

vermutlich denken Sie, dieser Brief kommt aus einer anderen Welt. Verzeihen Sie mir bitte, dass ich ihn nicht über diesen teuflisch schnellen Weg schicke, den uns die Maschinen zur Verfügung stellen, aber ich gehöre noch zu den Leuten, die daran glauben, dass handschriftliche Zeilen weitaus mehr als eine Botschaft enthalten: das Zittern der Hand, die sie schreibt, die Feuchtigkeit der Tränen, die sie begleiten, und auch das Beben der Erregung, die sie rechtfertigt. Wahrscheinlich halten Sie mich für eine Frau, die von der Moderne desillusioniert ist, oder für eine Traditionsbewahrerin, und damit haben Sie sicherlich recht. Es muss an diesem Dorf liegen, in dem ich geboren wurde und welches ich nur selten verlassen habe, dass ich an dem Irrglauben festhalte, die Welt wäre ein gemächlicher und beschaulicher Ort. Und, ehrlich gesagt, in meinem Alter möchte ich mir diese Illusion bewahren. Lassen Sie mich diese Vorrede mit meinem Dank für Ihre Großzügigkeit beschließen. Als Wiedergutmachung dafür, dass Sie einer Unbekannten Ihre Privatanschrift mitgeteilt haben, gestehe ich Ihnen, dass es mich reichlich Überwindung gekostet hätte, das, was ich Ihnen zu erzählen habe, diesen fürchterlichen Plastiktasten anzuvertrauen.
Der Grund, weshalb ich Ihnen schreibe, hat für Sie auf den ersten Blick vermutlich keine Bedeutung: Meine Mutter ist vor ein paar Wochen gestorben. Ich hoffe, dass sich die Gelegenheit ergeben wird, Ihnen zu erzählen, was für ein Mensch sie gewesen ist und wie sehr sie dieses Dorf geliebt hat, in das sie kam, als sie beinahe noch ein Mädchen war. Ihr Verlust ist für uns außerordentlich schmerzhaft und durch nichts zu lindern. Höchstens dadurch, dass wir ihre letzten Wünsche erfüllen, auch wenn diese für uns – also meine Tochter und mich – ebenso überraschend sind wie vermutlich für Sie.
Anfangs haben wir nicht verstanden, warum, aber meine Mutter erwähnt Sie in ihrem Testament. Doch dies war nicht die einzige Passage, die uns verblüfft hat. Deshalb benötigten wir – ich zumindest – ein wenig Zeit, um Daten zu vergleichen und sicherzugehen, dass das, was wir zunächst für die Phantasie eines Menschen hielten, der vom Leben erschöpft war, in Wahrheit das Fundament unserer und – so vermute ich – auch Ihrer Familiengeschichte ist.
Wie Sie sich bestimmt vorstellen können, bedarf all das einiger Stunden des Gesprächs. Es gibt Dinge, die gilt es persönlich zu bereden, bei einer Kleinigkeit zu essen und mit einer schönen Landschaft im Hintergrund. Entschuldigen Sie bitte, Violeta, aber ich kann mich schriftlich einfach nicht weiter auslassen – nicht einmal in einem echten Brief wie diesem.
Also, diese Seiten sind die offizielle Einladung zu einem Besuch bei uns. Unser Haus ist ein kleiner, friedlicher Flecken mit

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