Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Blick auf eine der idyllischsten Landschaften der Welt. Sie sind herzlich willkommen, so viel Zeit bei uns zu verbringen, wie Sie möchten. Bleiben Sie einfach so lange, wie die Angelegenheit in Anspruch nimmt, mit der wir uns beschäftigen müssen. Wenn die Information, die ich über Sie habe, korrekt ist, sind Sie und meine Tochter Silvana in etwa gleich alt. Silvana führt unser kleines Hotel, in dem für Sie ein Zimmer reserviert ist. Sie müssen uns nur den Tag Ihrer Ankunft mitteilen, dann holen wir Sie persönlich ab.
Gehen Sie bitte davon aus, dass wir Sie wie eine Familienangehörige behandeln werden.
In der Hoffnung, dass es bald dazu kommen wird, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen der Zuneigung,
Ihre Fiorella Otrante
Von: Violeta Lax
Gesendet am: 1. März 2010
An: Arcadio Pérez
Betreff: Europareise
Lieber Arcadio,
endlich habe ich mich entschieden, nach Europa zu fliegen. Drina versucht gerade, mir für nächste Woche ein Ticket zu besorgen. Sag mir doch, wie viele Tage du für meinen Aufenthalt vorschlägst, damit ich die Reise besser planen kann. Du weißt ja, ich möchte das Fresko mit Teresa unbedingt sehen, bevor es von der Wand in dem Patio abgenommen wird. Und ich werde dich auch – in meiner Funktion als Sachverständige, Erbin oder Freundin, was dir am besten passt – zu diesen schrecklichen Besprechungen begleiten, von denen du berichtest. Aber ich warne dich, Politiker machen mich krank.
Außerdem möchte ich noch nach Italien reisen. Zunächst hatte ich vor, zuerst dorthin zu fliegen und dann nach Barcelona zu kommen. Aber heute Morgen fiel mir plötzlich ein, dass die Restaurierungsarbeiten ja demnächst beginnen, und ich will um nichts auf der Welt diese letzte Gelegenheit versäumen, das Meisterwerk meines Großvaters an seinem ursprünglichen Platz zu sehen. Schließlich habe ich mich mit diesem Werk in meinen Vorträgen und Publikationen jahrelang auseinandergesetzt.
Kurz und gut: Ich erwarte deine Nachrichten.
Sei umarmt,
Vio
P. S.: Übrigens, wenn du mich zu einem Wein einlädst, verspreche ich dir, von den kuriosen Umständen zu berichten, unter denen mich eine rätselhafte, altmodische Dame an den Comer See eingeladen hat. Ich schwöre dir, das ist kein Witz. Ich werde ihre Einladung sogar annehmen. Daniel meint, dass ich verrückt sei. Ach ja, er lässt dich herzlich grüßen. In letzter Zeit ist er so mit seinem Roman beschäftigt, dass er nicht einmal Zeit für seine Familie hat.
Von: Drina Walden
Gesendet am: 1. März 2010
An: Violeta Lax
Betreff: Europa
Im Anhang findest du alle Infos zu den Flügen, um die du mich gebeten hast: Chicago – Barcelona sowie Barcelona – Orio al Serio (das ist der Flughafen Mailand-Bergamo). Ich habe herausgefunden, dass du von diesem Flughafen aus den Comer See am besten erreichen kannst, und das ist doch dein Reiseziel, oder? Gib mir Bescheid, ob du noch ein wenig Sightseeing in Mailand machen möchtest. Außerdem muss ich wissen, wann und von welchem Flughafen aus du zurückfliegst.
Ich weiß sehr wohl, dass du solche Dinge hasst, aber ich muss dich etwas fragen. Und zwar in diesem Fall nicht als Assistentin, sondern als deine Freundin.
Liebe, liebe Vio, findest du nicht, dass diese Reise in Wahrheit eine Flucht ist? Ich weiß nicht, du hast dich so überstürzt dafür entschieden, noch dazu in einem so unpassenden Moment. Ich verstehe nicht, wieso du ausgerechnet jetzt verreist, kurz vor der Eröffnung DEINER Ausstellung der Porträtmaler im Art Institute. Und was du da in deiner Mail schreibst, verwirrt mich noch mehr: »Frieden schließen mit einem Teil meiner Vergangenheit, den ich bisher verdrängt habe.« Ich kann mir nicht vorstellen, was für dich so wichtig sein soll, dass du darauf verzichtest, bei der Ausstellungseröffnung vor all den großen Tieren eine Rede zu halten. Ja, ich weiß, du sagst, dass das nur nebensächlich ist, dass dich in Wirklichkeit ganz viele Gründe nach Europa führen, angefangen bei dem Teresa-Fresko, aber ich kann es nicht so ganz nachvollziehen.
Vielleicht überschreite ich hiermit meine Grenzen als Freundin, aber ich habe den Verdacht, dass das Ganze eher etwas mit der Krise zu tun hat, von der du mir kürzlich berichtet hast. Daniels Arbeit, deine Zweifel an eurer Beziehung, die Verpflichtungen mit den Kindern … Meine liebe Vio, das alles geht vorüber. Das geht uns allen so. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du es aus einer anderen Perspektive siehst. Also: Ich wollte dir nur
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