Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Teresa Mühe. Kaum im Hotel angekommen, legte sie sich auf das Bett und schloss die Augen. Als Amadeo sie dort liegen sah, befürchtete er, sie sei unpässlich, und fragte sie, was geschehen sei.
»Du hast so viel Geduld mit mir gehabt und ich danke dir sehr dafür. Aber du sollst nun bekommen, was dir gehört. Nimm mich!«
Amadeo musste, natürlich, lauthals lachen. Das theatralische Verhalten seiner Frau kam ihm wie das Opfer einer Märtyrerin vor. Teresa hingegen schämte sich sehr. Als Amadeo sich neben sie legte, mit der Zeitung in Händen und dem seidenen Morgenmantel über dem Pyjama, sagte er ihr nur wenige Worte: »So nicht. Ich möchte nicht mit einer klassischen Heldin ins Bett gehen.«
Dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn. Kurz darauf träumte Teresa, sie würde als Jungfrau sterben. Sie war so beunruhigt, dass sie, sobald sie wach war, sich vornahm, das zu verhindern.
Wie sehr hatte sie ihn geliebt, so lange Zeit bis zu ihrem Wiedersehen! Amadeo war in ihren Mädchenphantasien immer präsent gewesen, dabei wollte sie schnellstens eine erwachsene Frau werden. Sein Auftreten als Kavalier, sein rätselhaftes Lächeln, seine Tristesse … Teresa bewunderte all diese Eigenschaften, wie man nur das bewundern kann, was einem niemals gehören wird. Als sie in die Pubertät kam, dieses absurde und unsichere Alter, in dem man sich überall fehl am Platz vorkommt und sich niemand mit einem wohlfühlt, wurde ihre Liebe noch tragischer und noch beschämender. Teresa wagte sich kaum vorzustellen, was sie im Grunde ihres Daseins begehrte. In ihren Träumen sah ihr Maler wie eine klassische Skulptur aus. Wie einer von diesen sündigen Akten, die die Nonnen ihr als Schülerin vorenthielten und von denen sie dennoch wusste, dass es Werke von großartigen Künstlern aus anderen Zeiten waren. Sie stellte sich Amadeo als ein Wesen vor, das eine Haut wie Marmor, geschmeidige Oberschenkel mit einer deutlichen Muskulatur sowie rebellische Locken besaß, ein Wesen, das schamlos das zeigte, was sie nicht einmal in Gedanken zu benennen wagte. Sie spürte ein Kribbeln der Begierde in ihrer Magengegend, doch sofort schämte sie sich, begann ein Vaterunser nach dem anderen zu beten und gelobte Besserung.
Doch es trat keine Besserung ein. Tatsächlich erhielt ihre verzehrende Liebe eine tragische Note. Mit siebzehn heulte sie regelmäßig ohne Anlass los und fühlte sich zutiefst unglücklich. Sie schrieb einige miserable Gedichte, die bei ihren Geschwistern nur Entsetzen hervorriefen. Sie laborierte an einer Krankheit, die so vage und folglich so schwer zu bekämpfen war, dass kein Arzt die Diagnose dafür stellen, geschweige denn ein Mittel dagegen finden konnte. Wie wir wissen, hat Tatín mit ihrer Lässigkeit das Problem schließlich in Angriff genommen. Aber als über beiden im Salon der süßliche Duft von Milchreis schwebte, war es Amadeos Blick auf Teresa, der zu dem wundersamen Ergebnis geführt hatte. Alles andere war nicht weiter schwierig gewesen. Amadeo nahm die Einladung zu Teresas Debütantenball an. Auf dem Fest im Hause Brusés bat er mehrfach um Verzeihung, weil er die Aufmerksamkeit der Geehrten auf sich zog, aber er ließ sie keinen Moment allein. Vor den Blicken der verunsicherten anderen Verehrer, die in ihm einen unschlagbaren Feind sahen, tanzten Amadeo und Teresa jedes Stück, zu dem das Orchester aufspielte, und gingen anschließend in den Garten, um die frische Luft zu genießen, was die anwesenden Gäste schockierte. Teresa hatte das Gefühl, vor Glück zu schweben, und Amadeo betrachtete das zarte Geschöpf mit seiner unglaublichen Schönheit. Von diesem Moment an stellte er sich vor, wie Teresa mit Juwelen behangen und voller Eleganz auf Empfängen, Banketten und Galabällen an seinem Arm glänzte. Nie zuvor war ihm etwas Vergleichbares mit all den Frauen passiert, die er kennengelernt hatte.
Bei ihrer ersten Gelegenheit, mit Teresa unter vier Augen zu sprechen, warnte Maria del Roser Golorons sie vor dem, was sie als die »männlichen Launen« ihres Sohnes bezeichnete. Sie sagte, eine Frau dürfe sich nicht an der Seite eines Mannes, der gerne im Mittelpunkt steht, verstecken. Es sei absurd, wenn ein Mann von einer Frau erwarte, sein Schatten zu sein, nur von ihm geleitet zu werden, jedem seiner Schritte zu folgen, so als wäre sie dumm oder nicht in der Lage, sich für einen eigenen Weg zu entscheiden. Eine Frau könne eigene Ideen haben, eigene Lebensziele verfolgen und sogar eigene
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