Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
meisten vermisste, ihre Schwiegermutter war. Maria del Roser Golorons war für die junge Frau in den Jahren, in denen sie das Glück hatte, mit ihr unter einem Dach zu leben, wie eine Mutter gewesen. Immer sanftmütig, klug, aufrichtig, geduldig und großzügig, hatte Doña Maria del Roser auf Teresas Lebensweg eine Spur hinterlassen, die nichts wieder auslöschen konnte. Viele der Sätze, die sie ihr über die wichtigen und weniger wichtigen Dinge des Lebens gesagt hatte, würden für immer in ihrem Gedächtnis bleiben. Dank ihrer Schwiegermutter war sich Teresa im Haus ihres Ehemannes niemals wie eine Fremde vorgekommen. Maria del Roser hatte für ihre Unwissenheit Geduld gezeigt und sie in allem unterwiesen, vom Umgang mit dem Personal bis hin zu den alltäglichen Dingen. Zudem hatte sie ihr überaus nützliche Ratschläge erteilt, in welcher Form sie auf Amadeos Verhalten reagieren sollte, das sie anfänglich sehr entmutigte. Dank ihrer Schwiegermutter begriff die junge Frau, dass ihr Ehemann ein schweigsamer Mensch war, der sich mal in sein Atelier in der Mansarde zurückziehen und mal aus einem Leben flüchten musste, das wie eine schwere Bürde auf ihm lastete. Maria del Roser rechtfertigte sein Verhalten: Amadeo sei ein Mann, der wie viele große Männer ohne große Worte liebe, und wie diese zeige er kaum seine wahren Gefühle. Mit einem Quäntchen Glück werde es ihr im Lauf ihres Lebens gelingen, seinem herben Charakter die eine oder andere Schwäche zu entlocken. Für Teresa war es eine große Hilfe und Erleichterung, solche Worte aus dem Mund der Frau zu hören, die ihren Ehemann am besten kannte.
Doch wenn Teresa mit Amadeo allein war, kamen ihre Ängste wieder hoch. Schon während ihrer Hochzeitsreise befürchtete sie oftmals, ihn enttäuscht zu haben. Sie erlebte ihn so ernst, so ausdruckslos, so zurückhaltend in seinen Gesten und so förmlich in seinen Worten, dass sie schließlich meinte, bei ihm niemals die geringste Leidenschaft wecken zu können. Während der Monate ihrer Reise durch Europa und Nordafrika voller Emotionen und Entdeckungen blieb Teresa absichtlich länger als notwendig in den Bädern der luxuriösesten Hotelsuiten, nur um abzuwarten, dass ihr Ehemann einschlief. Dann legte sie sich mit rasendem Herzen neben ihn und bewunderte ihn still. Sie genoss seinen Anblick wie das Bild eines klassischen Gottes. Manchmal bewegte sich Amadeo im Schlaf und legte seine Hand auf die Oberschenkel, die Hüfte oder den Schoß seiner jungen Ehefrau. Teresa erschrak dann und betrachtete mit weitaufgerissenen Augen diese fremde Extremität. Sie stellte sich tausenderlei Dinge vor, die sie mit ein wenig Mut machen könnte, doch dazu kam es nie. Es gelang ihr nur, ihn wahnsinnig zu lieben. Ihn zu lieben und sich wegen des Opfers, zu dem sie ihn verpflichtete, elend zu fühlen. Nur sie selbst machte sich diese Vorhaltungen, aus Amadeos Mund kam niemals ein Vorwurf. Während der gesamten Reise zeigte er sich kein Mal verärgert. Ganz im Gegenteil: Er war zuvorkommend wie ein aussichtsloser Verehrer, er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab und überhäufte sie mit Geschenken. Als sie in Rom eintrafen, fühlte sich Teresa nur noch unbehaglich. ›Gefalle ich ihm denn gar nicht?‹, fragte sie sich immer wieder und warf sich ihren mangelnden Mut vor, ihre Handlungsunfähigkeit, im Großen und Ganzen ihre Angst vor dem intimen Zusammensein, zu dem es immer noch nicht gekommen war.
Am Morgen ihres ersten Tages in Rom, als Amadeo Pläne schmiedete, ihr die Sixtinische Kapelle zu zeigen, hatte sie auf einmal das Bedürfnis, die Frage zu stellen, die sie seit dem Vortag quälte.
»Stimmt es, dass eine Ehe, die nicht vollzogen wurde, annulliert werden kann?«
Amadeo biss gerade in seinen Toast und kniff irritiert die Augen zusammen.
»Ich glaube schon«, antwortete er.
Teresa quälte sich den ganzen Tag. Dann konnte ihr Ehemann sie ja wegen Rechtsbruchs verstoßen. Dass er dies nicht schon längst getan hatte, bewies ja zur Genüge, dass er ein so viel besserer Mensch war als sie selbst, sagte sie sich. Sie kam sich wie eine Idiotin und eine Schmarotzerin vor, die sich von Stadt zu Stadt kutschieren und mit allerlei Geschenken verwöhnen ließ, ohne ihren Teil des Vertrages zu erfüllen.
Amadeo erstarrte, als er seiner hübschen Frau an dem Tag ein wunderschönes Rohseidentuch schenken wollte und diese ihm kategorisch erklärte: »Ich will nichts haben! Ich habe das nicht verdient!«
In der Nacht gab sich
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