Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
sein Blick verströmte die gleiche Gelassenheit wie zuvor.
Seit er meine Zelle verlassen hat, warte ich auf mein letztes Stündlein und denke über das Geschehene nach. Es scheint mir nicht richtig, alles, was ich weiß, mit ins Grab zu nehmen. Wenn ich Ihnen mit meinen Zeilen nun so viele schreckliche Wahrheiten entgegenschleudere, bin ich einfach von dem Wunsch geleitet, dass Sie aus meinem Unglück irgendeinen Nutzen ziehen mögen. Bitte werden Sie nicht, so wie ich, ein Opfer Ihrer eigenen Naivität. Und vertrauen Sie Ihrem Schwager Juan, wenn es nötig ist. Ich bin sicher, dass er Ihnen von ganzem Herzen beistehen wird, wenn es notwendig sein sollte.
Mit freundlichen Grüßen,
Montserrat Espelleta
Selbstporträt , 1963
Öl auf Leinwand, 90 × 70 cm
MNAC, Sammlung Amadeo Lax
Amadeo Lax hat sich während seines Lebens insgesamt zwölf Mal gemalt; dies ist das letzte und zweifellos persönlichste seiner Selbstporträts. Bei diesem Bild fallen die unterschiedlichen Grade der Ausführung auf, die von der Skizze im unteren Bereich – nur wenige parallele dicke schwarze Pinselstriche – bis zu der sorgfältigen Gestaltung des Kopfes reichen. Der Kontrast zwischen Licht – nur das Gesicht und die Hände sind beleuchtet – und Dunkelheit ist als Vorwegnahme des Selbstporträts des Fotografen Robert Mapplethorpe gesehen worden, dem dieses Bild als Inspiration gedient haben könnte. Dennoch liegen zwischen den beiden Werken beträchtliche Unterschiede. Dieses Selbstporträt zeigt ein erstarrtes Gesicht sowie verkrampfte Hände, die fast schon monströs wirken. Das Bild belegt, wie Lax’ Werk im Verlauf der Jahre immer spontaner wird, bis es schließlich die Freiheit seiner letzten Arbeiten erreicht, für die dieses Ölgemälde ein gutes Beispiel ist.
Mit unbarmherzigem Blick malte sich Lax – fast schon eine grausame Karikatur – zu einer Zeit, in der er bereits allein und abgeschieden von der Welt in seinem Stadthaus in Barcelona lebte. Selbstverständlich wollte er mit diesem Bild keinem Auftraggeber gefallen und sich auch nicht dem Diktat irgendeiner Mode unterwerfen. Hier führt der Realismus zu einer schonungslosen Offenheit. Einige Fachleute bezeichnen das Selbstporträt »als den unerbittlichsten Blick, den ein Künstler jemals auf sich selbst geworfen hat«.
Amadeo Lax im Museu Nacional d’Art de Catalunya , Barcelona 2004 (Ediciones Oreneta)
XXIII
Wie üblich hielt sich an dem schönen Maimorgen, an dem Señora Teresa Brusés de Lax zu kreißen begann, der Señor nicht zu Hause auf.
Das erste Anzeichen, das sie mangels Erfahrung nicht zu deuten wusste, war ein stahlharter Stich in der Nierengegend. Doña Teresa vertraute sich Antonia an, die ihr aber als Jungfrau auch nicht weiterhelfen konnte. Bis ihre Schmerzen endlich Concha zu Ohren kamen, zeigte niemand eine besondere Eile oder ließ auch nur ansatzweise von seinen Alltagsarbeiten ab. Doch die erfahrene Kinderfrau musste nur das Gesicht der jungen Señora ansehen, um zu wissen, dass es ernst wurde, und um alle in Bewegung zu setzen. Die Hebamme wurde benachrichtigt, Handtücher wurden vorbereitet, Wasser wurde erhitzt und in große Bottiche gefüllt, in denen es gleich darauf wieder erkaltete, die Bettwäsche im großen Schlafzimmer wurde gewechselt – also in Maria del Rosers ehemaligem Schafzimmer, denn Teresa hatte darauf bestanden, dort zu gebären. Man hatte peinlichst genau darauf geachtet, dass alles gebügelt wurde, als stünde dem Haus ein Empfang und keine Geburt bevor. Mit aller Sorgfalt war alles für das Neugeborene vorbereitet worden, damit es parat lag, wenn es so weit war.
Teresa spazierte im Flur nervös auf und ab und versetzte dabei alle, die sie sahen, ihn Sorge. Sie sagte, sie könne nicht sitzen, sie bewege sich lieber. Und zwar barfuß, weil ihre Füße so geschwollen waren, dass sie nicht einmal mehr in die Pantoffeln passten. Sie hörte nicht auf Antonia, die ihr riet, sich in den Armsessel neben dem Fenster zu setzen. Und auch nicht auf Concha, die sich bei dem Anblick der jungen Señora quälte, wie sie auf den knarrenden Holzdielen im Flur hin- und herlief. Hin und wieder blieb Teresa stehen, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, die andere legte sie auf ihren Unterleib. Dabei schloss sie angestrengt die Augen und keuchte schwer. In den zwei Stunden, in denen sie auf und ab ging, fragte sie nicht ein Mal nach dem Señor.
Nur wenige konnten ahnen, dass die Person, die Teresa in diesen Stunden am
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