Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
aber sie weiß auch nicht, welchen Trost sie ihr spenden könnten. Amadeo vermisst sie nicht. Selbst wenn er zu Hause wäre, würde sie ihn jetzt nicht in ihre Nähe lassen. Sie stirbt allein schon bei dem Gedanken vor Scham, er könne sie so sehen, vor Schmerzen gekrümmt und mit gespreizten Beinen, und das alles vor einer Frau, die in Erwartung der Niederkunft ihren Körper bis in die Tiefen inspiziert.
Antonia, Concha und Vicenta stehen voller Ungeduld auf dem Flur. Und auch Laia, die alles mit entsetztem Blick und vor Ekel verzogener Miene betrachtet. Als Elisa feststellt, dass sich auf dem Flur zu viele Zuschauer eingefunden haben – es ist doch immer das Gleiche! –, beendet sie kurzerhand das Theater. Sie schickt alle mit derben Beschimpfungen weg und schließt die Tür. Sie wird sie schon benachrichtigen, wenn das Kind da ist, sagt sie.
Wir könnten uns die Freiheit nehmen und die Seite wählen, die den Schaulustigen verboten ist. Wir halten jedoch eine Geburt für kein Schauspiel, das heutzutage irgendjemandem gefällt oder überrascht, also wenden wir uns – mit Verlaub – der entgegengesetzten Seite zu. Nicht den Hausangestellten, die an ihren Fingernägeln kauen und sich fragen, wann der Señor zurückkommt oder wie man ihn benachrichtigen kann, dass sein erstes Kind gerade auf die Welt kommt. Wir bewegen uns etwas weiter weg, zum Flurende, den Zimmern, die auf den Patio zeigen und die Teresa an dem Tag bezog, an dem sie die neue Señora des Hauses wurde.
Hinter dieser doppelflügeligen Tür, in einem herrschaftlichen Weiß gestrichen, mit einer Messingklinke, verschwand das frisch vermählte Paar in der Nacht des 4. November 1928, in der das gesamte Personal darüber spekulierte, ob die Ehe nun vollzogen wurde oder nicht. Wir Geister verstehen dieses Interesse und diese Neugierde sehr wohl, denn wir erleben beides und stillen diese Bedürfnisse, indem wir durch die Luft flattern, wie Staubflocken im Licht glitzern oder in alle Verstecke und Geheimnisse eindringen. Wie in jener Nacht, in der genau hinter diesen Türen – und das ist die große Neuigkeit! – nichts geschah.
Es ist, als würde es jetzt passieren. Wir können es sehen:
Amadeo legt seinen Cut ab. Er wirkt müde. Das ist kein Wunder, schließlich ist es sein Hochzeitstag. In den ersten Augenblicken in dem Zimmer nimmt Teresa das Terrain in Augenschein und zeigt sich zufrieden. Das Bett ist aufgeschlagen. Die Bettwärmer sind gerade entfernt worden, und auf jedem der beiden Kopfkissen liegt eine weiße Rose. Auf dem Ecktisch, neben den Vorhängen, hinter denen im Patio die Nacht zu erkennen ist, steht ein Tablett mit einem üppigen Imbiss, für den Fall, dass das Brautpaar sich in der Nacht stärken muss. Concha hat alles mit größter Sorgfalt vorbereitet, gemeinsam mit dem gesamten begeisterten Personal.
Teresa beobachtet schweigend ihren Ehemann. Ihre Hände sind eiskalt und ein Panikgefühl lässt ihren Körper erschauern. Sie beobachtet, wie er seine Weste ablegt und allmählich sein Hemd aufknöpft. Teresa hastet ins Badezimmer, um sich dort zu verstecken, und schiebt den Riegel vor. Auf dem Bügel an der Tür warten, so wie sie es angewiesen hatte, die Kleidungsstücke auf sie, die sie sich anziehen soll. Es ist eine duftige weiße Kombination aus Seide und Satin. Der Morgenrock hat Ärmel mit Spitzenbesatz und Strass, was ihr im Atelier der Schneiderin gefallen hatte, aber nun findet sie es übertrieben. Das Nachthemd schmiegt sich wie eine zweite Haut an ihren Körper, der spitz zulaufende Ausschnitt mit Spitzenbordüre betont ihren Busen. Zur Krönung hat die Schneiderin beide Kleidungsstücke mit einer voluminösen Schleppe versehen, als würde sie diese in einem Tanzsalon tragen.
Teresa entkleidet sich bedächtig. Sie zögert lange, ehe sie ihre Unterwäsche ablegt – das Hemd, das Höschen –, aber dann stellt sie fest, dass sie unmöglich alles zusammen anziehen kann. Das Nachthemd für ihre Hochzeitsnacht wurde geschneidert, um allein getragen zu werden, egal, ob diese Vorstellung sie nun quält oder nicht. Ihre Folter wird noch größer, als sie sich damit im Spiegel begutachtet: Noch nie ist sie sich so nackt vorgekommen. Ihre Brüste zeichnen sich vollständig ab! Erschrocken greift sie zum Morgenmantel und knöpft ihn von oben bis unten zu – die Schneiderin hat ihn mit insgesamt dreiundsechzig winzigen, mit Satin bezogenen Knöpfen versehen, die sich nun eher widersetzen, als in die Knopflöcher zu
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