Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
Sonnenstrahl hervor, verschwand wieder, blitzte wieder auf und berührte schließlich wie ein suchender Finger die dicht beieinander stehenden Häuser, die sich an den vor uns liegenden Küstenstreifen schmiegten.
Das Städtchen Eyemouth wirkte auf mich wie die malerische Postkartenansicht eines Fischerdorfes. Die weißen Häuser drängten sich terrassenartig bis zum Meer, Möwen kreisten über den Dächern und stießen hin und wieder über der Stelle hinab, an der ein Einschnitt in den grün gesprenkelten Klippen den noch außer Sichtweite liegenden Hafen bilden mußte.
Der Sonnenstrahl, entschied ich, war ein gutes Vorzeichen, er versprach etwas Schönes. Und irgendwo, nicht allzuweit von hier, freute sich der geheimnisvolle Peter Quinnell darauf, meine Bekanntschaft zu machen. Ich hielt mich fest, als der Bus in die steile Straße zwischen den Häusern hinabtauchte, und fragte meinen Nebenmann: »Können Sie mir ein Quartier empfehlen? Gibt es hier eine Pension oder ein nettes kleines Hotel?«
»Sie werden doch nicht in der Stadt wohnen wollen?« Er sah mich schockiert an. »Lieber Himmel, Quinnell würde das niemals zulassen. Er hat ein Zimmer oben auf Rosehill für Sie herrichten lassen, im Herrenhaus.«
Ich starrte zurück. »Aber ich kann doch nicht …«
»Wollen Sie den Job?«
»Ja.«
»Dann sollten Sie das Management nicht brüskieren«, lautete sein Ratschlag, den er gleich darauf mit einem Lächeln abmilderte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind alle sehr nett dort draußen auf Rosehill. Sie werden sich bestimmt wie zu Hause fühlen.«
Der Blick des Busfahrers begegnete mir im Rückspiegel, aber er sagte nichts.
Ich runzelte die Stirn. »Ich würde trotzdem lieber irgendwo allein wohnen. Ich möchte mich nicht aufdrängen …«
»Sie drängen sich nicht auf. Quinnell liebt Gesellschaft.«
»Das mag ja sein. Nur falls er mich nicht einstellt, könnte die Situation ein wenig unangenehm werden.«
»Oh, er wird Sie einstellen«, sagte David Fortune mit einem bekräftigenden Nicken. »Das heißt, er wird Ihnen die Stelle jedenfalls anbieten. Ob Sie sie annehmen oder nicht … nun, das müssen Sie entscheiden.«
Irgend etwas an seiner wie beiläufig geäußerten letzten Bemerkung ließ mich mißtrauisch werden. »Warum sollte ich sie nicht annehmen?«
»Haben Sie schon etwas gegessen?« sagte er, als hätte er meine Frage nicht gehört. »Nein, nicht wahr? Und heute ist Donnerstag, Jeannies freier Abend. Es wird kein Abendessen im Haus geben.« Er wandte sich an den Busfahrer, der unserer Unterhaltung mit Interesse gefolgt war. »Danny, tust du mir einen Gefallen und läßt uns an der Hafenstraße raus?«
»Beim Ship Hotel?« fragte der Fahrer mit einem neuen Blick auf mich. »Klar, kein Problem. Das Mädchen sollte dem alten Quinnell wirklich nicht mit leerem Magen gegenübertreten müssen.«
Mein Mißtrauen wuchs, und ich sah David Fortune prüfend an, aber sein sympathisches Gesicht blieb gleichmütig. Ich verlor mich ein wenig darin, so daß ich kaum bemerkte, wie der Bus anhielt. Erst als ich plötzlich den kalten Luftzug von der offenen Tür her spürte, erhob ich mich schließlich von meinem Sitz und nahm meinen Koffer. Ich warf dem Fahrer ein Dankeschön zu, kletterte die Stufen hinunter und betrat festen Boden.
Der Wind hatte weiter aufgefrischt. Er traf mich wie ein Stoß und hätte mich beinahe umgeworfen, wenn mein neuer Bekannter mir nicht den Koffer aus der Hand genommen und mir seine große Hand auf den Rücken gelegt hätte, um mich an der Hafenmauer entlangzugeleiten. Die Flut stand hoch, und die Fischerboote zerrten knarrend an ihren Vertäuungen, Maste und Taue schwankten mit jeder Bewegung der Wellen hin und her.
Wenn meine Mutter mich jetzt sehen könnte, dachte ich, würde sie einen Herzanfall bekommen. Sie hatte so ihre eigenen Vorstellungen von der gefährlichen Halbwelt eines Hafenviertels, die auf weitgehend zusammenphantasierten Geschichten von Schmugglern, gedungenen Mördern, Piraten und Mädchenhändlern basierten. Erneut betrachtete ich die große, dunkle Gestalt an meiner Seite.
David Fortune sah selbst ein wenig wie ein Pirat aus, fand ich, mit seinen schwarzen Locken, an denen der Wind zerrte, und der eigensinnigen Kinnlinie, die sich scharf im trüben grauen Abendlicht abzeichnete. Seine Nase war im Profil betrachtet nicht ganz gerade, als wäre sie einmal bei einer Schlägerei gebrochen worden. Und schließlich wußte ich nur von ihm selbst, daß er
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