Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
er wolle nun sehen, wie weit man es treiben müsse, damit sie ihm gefügig würden. Und auch dieser May, dachte Lebius weiter, werde auf alle Fälle eine Sündenlatte mit sich herumtragen, vielleicht sogar noch eine größere als sein famoser bärtiger Freund. Er, der pfiffige Rudolf Lebius, müsse jetzt nur noch herausbekommen, was und welcher Art diese Verfehlungen wären, dann sei er der seine, der ehrenwerte Herr Karl May – das wette er, dann ständen ihm die Qualen des Fegefeuers bevor. Oh, er werde ihn rösten, den ehrenwerten Herrn, auf kleiner oder größerer Flamme, ganz nach Belieben, und so wie der Schweiß, so werde das Geld aus ihm fließen, nicht zu knapp …
May, der von diesen Gedanken nichts wissen konnte, in dessen Fantasie sich aber ein Gebräu aus Ängsten und dunklen Ahnungen zusammenwölkte, erhob sich.
Sie wollen doch nicht etwa …? rief Lebius, halb belustigt, halb ärgerlich.
Doch, entgegnete May, ich werde jetzt hinausgehen, und er fühlte, wie ihm die Stimme zu versagen drohte, ich werde in mein Arbeitszimmer gehen und Ihre großen Worte zu Papier bringen, die müssen der Nachwelt erhalten werden … Herr Dittrich wird mich so lange vertreten und Ihnen, dem Ehrenmann, derweil alleine Gesellschaft leisten. May, die flehend und theatralisch zu ihm gereckten Arme seines Gastes missachtend, wandte sich der Tür zu und eilte hinaus. Und er stieg tatsächlich in sein Arbeitszimmer im ersten Stock hinauf, lief wortlos und mit zugesperrtem Gesicht an seiner Frau vorbei, die, weil sie ihn kommen gehört hatte, die Treppe vom Zimmer ihrer Mutter herabgeeilt war und sich ihm jetzt in den Weg zu stellen suchte, schob sie zur Seite, schloss die Tür mit hartem Griff, setzte sich an den Schreibtisch und begann eine Art Protokoll zu schreiben. Er war leichenblass geworden, rote, runde, scharf abgegrenzte Flecken zeigten sich auf den Wangen links und rechts und kündeten von der übergroßen Erregung, die ihn ergriffen hatte. Wie rasend schlug sein Herz, er versuchte ruhig und langsam zu atmen, sich zu beruhigen. Was werde hier noch kommen? dachte er, was, oh mein Gott, werde über ihn in Gestalt dieses Teufels hereinbrechen? Was werde ihm, Karl May, bevorstehen?
Später, als diese Befürchtungen bittere Realität geworden und er den aufreibendsten Krieg seines Lebens führen musste, später hat er noch oft an diese Minuten in seinem Arbeitszimmer gedacht, als er zitternd, mit rasendem Herzen die Worte des Mannes Lebius niederschrieb und als ihm, auflodernden Visionen gleich, die Stunde seines Unterganges vor Augen stand …
Inzwischen Dittrich, unten im Salon, knurrte den Lebius an: Sehen Sie, was Sie anrichten, Sie Unmensch? Vielleicht müssen wir noch einen Arzt holen? Oh, Sie … und ich habe Herrn May noch zugeraten, Sie zu empfangen, ja ich riet ihm, Ihnen die Tür zu öffnen. Oh ich, Unglückseliger, ich Unglücksrabe!
Na, nun kriegen Sie sich mal ein, Verehrtester.
Lebius, der sein Glas ergriffen hatte, füllte es aufs Neue. Es war das siebte oder achte. Schon die zweite Flasche war entkorkt worden. Es zitterte ihm beim Eingießen die Hand, und es hätte nicht viel gefehlt, der Weinstrahl wäre danebengegangen. Herausfordernd hielt er das Glas, roch daran, streckte es, die Nase glänzte rötlich, seinem Gegenüber entgegen.
Prost, mein Lieber, Prosit!
Max Dittrich, mehr aus Höflichkeit als trinklustig, erhob nun auch das seine.
Sehen Sie, sagte Lebius und lachte, so ist’s recht, da sollten wir doch die Gelegenheit, so lange der Meister „außer Haus“ ist, nutzen, um endlich einmal Praktisches zu besprechen. Also, hören Sie, wir zahlen 10 Pfennige für die Zeile. Hören Sie: für die Zeile! Nicht etwa für die Seite! Hätten Sie nicht einen Text, den Sie uns geben könnten? Zehn Pfennig für die Seite, hören Sie, mein Lieber, mindestens zehne, weil Sie es sind auch zwölfe … ha, ha, ha.
Dittrich zuckte vielsagend mit den Schultern, trank einen kleinen Schluck, aber er schwieg.
Lebius, die Lippen spitz, mit geröteten Wangen, verzog sein Gesicht zu einem wissenden Grinsen. Er habe erst in jüngster Zeit, flüsterte er, hob die Brauen und tat geheimnisvoll, ja, erst kürzlich, allerdings inzwischen schon zum zweiten Male, da habe er Dittrichs Schrift „Der Deutsch-Französische Krieg“ gelesen, auch eine frühere Skizze zum Siebenjährigen Krieg und den als verschollen geltenden Text über die Gotenschlacht bei Adrianopol im 4. Jahrhundert kenne er – und er müsse ohne
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