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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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sich gab. Unabgestimmt, völlig entgegen der besprochenen Strategie und sogar noch mit einer gehörigen Portion Sturheit und Gereiztheit hat sie sich geäußert. Und da war natürlich sofort das Lächeln des Dr. Döbner, dies allein war für ihn, den bestellten Anwalt, schon wie eine Ohrfeige. Und der Döbner hat ausgiebig gelächelt, ja gefeixt geradezu. Endlich, endlich, so wird er sich gedacht haben, der liebe Herr Amtsrichter, endlich kriege ich den unangenehmen Neumann einmal zu fassen, endlich muss er seinen Hochmut fahren lassen, endlich mal eine Blamage erster Klasse einstecken. Die Hände wird er sich unter der Robe gerieben haben, der Herr Assessor, seine schweißigen, feuchtkalten Hände, und beim Kaffee wird er seinen Kollegen dann erzählt haben: Wisst ihr, der Neumann hat gottseidank eine Blamage einstecken müssen, eine Blamage erster Klasse. Und die Kollegen haben sich amüsiert, sogar die Sekretärin hat beim Kaffeerauftragen still in sich hineingelächelt, der Neumann, ha, ha, ha, das geschieht ihm recht, dem arroganten Typen, dem blitzgescheiten …
    Oh, was für eine furchtbare Sache, murmelt der Anwalt Dr. Neumann auf seiner Ottomane, nimmt die Hände vors Gesicht. Sofort spürt er die Bartstoppeln und kommt sich gleich nochmal so erniedrigt vor, unsauber und abgestraft.
    Schon allein die Art, wie diese Pollmer aufgetreten ist, erinnert er sich, hat ihn von Anfang an in Wut versetzt. Vom ersten Augenblick an wusste er, die Sache geht schief. Man spürt sowas ja, man riecht es beinahe, die ganze Atmosphäre war auf Scheitern eingestellt. Aber was sollte, was konnte er tun, er saß treu und brav neben dieser Dame und musste wie beim Pokerspiel seine Züge in der Gewalt haben. Die Pollmer aber, angezogen wie für eine Theaterpremiere, indes wie immer mit roten verheulten Augen, stand da und erdreistete sich zu sagen, sie verweigere die Zeugenaussage zur Anzeige vom 9. Oktober, ja, noch mehr, sie denke nicht daran, sagte sie, den hier anwesenden Dr. Neumann, ihren Anwalt, von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Döbner, mit einem verbissenen Grienen, indes höflich nachfragend, ob sie, die Frau Emma May, geborene Pollmer, dabei bleibe und ob sie auch wisse, was das heiße, wenn sie ihre Aussage verweigere, und wenn durch ihre Weigerung auch der Anwalt nichts in der Sache beitragen könne? Da hat sie nur genickt und ein wenig böse „ja“ gesagt, ja, sie wisse sehr genau, was sie tue, und sie bleibe dabei. Dr. Döbner darauf lächelnd und mit einem Seitenblick zu ihm, dem Anwalt, dann sei die Angelegenheit für ihn erledigt, die Beweismittel in der Strafsache Haeußler gegen May, Karl könnten nicht gewonnen werden, er werde die Akte schließen. Punktum! Allerdings, so fügte er, hintergründig lächelnd, an, könne er sich die Anmerkung nicht verkneifen, dass das Gericht wie auch er selber ein gewisses Unverständnis für den jähen Schwenk der Zeugin Pollmer empfinde …
    Das hat er fein ausgedrückt, der Herr Assessor, denkt der Anwalt Neumann auf seiner Ottomane, denn in Wahrheit gibt es nur zwei Schlussfolgerungen, zwei gegensätzliche Überlegungen: Entweder ist diese Emma eine geistig vollkommen minderwertige Person, dümmlich und unberechenbar, jedem Geschwätz, jeder Einflüsterung sofort erliegend, oder aber sie ist von einer der Verrücktheit nahen Berechnung und Blitzgescheitheit, dass es einem den Atem nimmt. Er, der erfahrene Anwalt, glaubt an Ersteres – sie ist einfach ein dummes Weib, das einen mit Unüberlegtheiten und Umschwüngen zum Wahnsinn treibt …
    Die Haushälterin Irmlin öffnet leise die Arbeitszimmertür, sie wirft einen Blick herein, und als sie entdeckt, dass alles unverändert ist, dass der Herr Anwalt Dr. Neumann immer noch nicht gefrühstückt hat, dass er ohne Entschlusskraft, dass er saft- und kraftlos herumliegt, dass er keine Anstalten macht, sein Tagewerk zu beginnen, da seufzt sie tief, die Haushälterin Irmlin Gebauer, sie schaut auf die Standuhr im Flur, beschließt, noch eine Dreiviertelstunde Ruhe zu halten, ihren Herrn dann aber gnadenlos aufzuscheuchen, ihn zu zwingen, sich zurecht zu machen, zu rasieren, vor allem etwas zu essen, und sie wird ihm den richtigen Anzug, den passenden Binder herauslegen, die blitzblanken Schuhe hinstellen, ja besonders auf die Schuhe wird sie achten müssen, denn sie erinnert sich, es ist etwa vor drei Wochen vorgekommen, dass er in seinen Hauspantoffeln zum Gericht gehen wollte. Leise schließt sie die Tür. Oh ja, das

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