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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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geknickt über dem Knie ihres schlafenden Gegenüber. Einen Moment durchzuckte sie die Versuchung, die Zeitung einfach an sich zu nehmen und den Artikel zu Ende zu lesen. Auch hatte sie das Datum der Zeitung nicht entziffern können, aber es musste eine ältere Ausgabe sein, denn die meisten Artikel dieser Art gegen Karl in der Frankfurter Zeitung oder in anderen Blättern waren schon vor Monaten erschienen, und es war wenig wahrscheinlich, dass die Dresdner monatelang Zurückliegendes aufgriffen. Vielleicht, dachte sie, hätte sie diese Ausgabe der „Dresdner Nachrichten“ sogar schon in den Händen gehabt, nur alles wieder vergessen, denn es hatte ja damals jeden Tag irgendeine Schmähung gegen Karl in den verschiedensten deutschen Zeitungen gestanden. In jüngster Zeit hatten die sich mehr und mehr auf Kommentare zum Prozess gegen die Pauline Münchmeyer eingeschossen. Eine vorübergehende und verdächtige Stille war eingezogen. Dann. Neue Feinde tauchten auf. Gerlach und Konsorten wie die Böhler mit ihrer Beleidigungsklage hatten Interviews gegeben … es wollte einfach keine Ruhe werden; natürlich trüge auch Karl an mancher Eskalation Schuld, dachte Klara, er war häufig so verdammt ungeschickt und undiplomatisch, wollte um sich schlagen, wollte beißen und brüllen wie ein Löwe, wo er lieber schweigen sollte und sich unsichtbar machen; zaghaft hatte sie, die Mutter und ein paar treue Freunde ihn so manches Mal zu mäßigen versucht – vergebens, er versprach es zwar, doch beim nächsten Fall tobte er aufs Neue los …
    O lieber Karl, wie nur könnte man dich vor dir selber schützen!?
    Trotzdem, dachte Klara, sie hätte zu gern gewusst, warum der schlummernde Herr, ihr backenbärtiges Gegenüber, warum der gerade diese alte Zeitung las, ausgerechnet diesen Artikel, tatsächlich zu gern hätte sie es erfahren. Warum nur …
    Plötzlich wurde die Abteiltür aufgeschoben.
    Das fahlgelbe, schnurrbärtige Gesicht des Schaffners erschien. Seine bebrillten Mausaugen spähten herein, blieben auf den zwei leeren Plätzen hängen.
Aah ja!
rief er, pfiff durch die Zähne wie ein Nagetier. Dann bog er den Kopf zurück, sagte zu einem Herrn, der hinter ihm im Wagengang stehen geblieben war, in der Tat, mein Herr, Sie haben recht. Hier sind noch zwei frei, Nummer 164 und 168. Zeigen Sie Ihr Billet noch einmal her. Oh, bitte sehr!
Aah ja
, die Nummer 168 also! Nehmen Sie unbesehen Platz. Oh, bitte sehr! Er legte die Hand grüßend an die Mütze. Dann trat er beiseite, nicht ohne den Abteilinsassen zuzurufen, sie bekämen noch eine Belegung. Er zeigte auf den freien Sitz, wo die Pelzjacke der jungen Dame lag, fragte mit strenger Amtsstimme, wem jener Pelz gehöre? Die junge Dame, erst erschrocken und dann entrüstet, hob folgsam die Hand.
    Aah, ja!
schnarrte der Schaffner. Dann machen Sie bitte den Platz frei!
    Die junge Frau wollte eben ihr Kleidungsstück ergreifen, als der neue Fahrgast wieselflink hereingedrängt war, in großer Eile sein einziges Gepäckstück, einen alten unansehnlichen Pappkoffer, nach oben ins Netz geworfen hatte und sich jetzt ächzend und rücksichtslos auf die Jacke zu setzen im Begriff war. Der jungen Frau gelang es gerade noch, ihren Pelz mit einer schnellen Bewegung vom Sitz zu ziehen. Sie atmete auf, lächelte verlegen, als sie ihn an sich drückte, flüsterte irgendeine Entschuldigung, schlug die Augen nieder.
    Gute Weiterreise! schnarrte der Schaffner und schloss die Tür.
    Die Abteilinsassen saßen erstaunt und überrascht, fühlten sich gestört, wie wenn daheim plötzlicher unangemeldeter Besuch erscheint. Auch Klara. Alle hatten den ganzen Vorgang mit Schweigen, mancher mit einer kleinen Missbilligung zur Kenntnis genommen. Klaras Gegenüber, der Herr mit dem Backenbart, war erwacht, er hatte schnell seine Zeitung zusammengerafft, blickte nun mit jener Mischung aus Neugier, Herablassung und gespielter Würde auf den Hereingekommenen, wie wir sie häufig in solchen Menschengemeinschaften wie denen in einem Zugabteil oder etwa in einem Wartesaal beobachten können.
    Auch der rotnasige Dicke war munter geworden. Zuerst hatte er sich mit kurzen fleischigen Fingern Stirn, Hals und Nase gerieben, dann mit blassblauen Augen den Neuen angeblinzelt, schließlich zog er mit einem Seufzer ein silbernes Brillengestell aus seiner Rocktasche, klappte es umständlich auseinander, setzte es sich auf die Nase, schaute nun ungeniert umher, betrachtete den Hereingekommenen. Der neue Fahrgast war ein

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