Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
kommen, um sich den Anschein zu geben, sie will Karl nichts Böses, denn so viel weiß unser Dummchen, wenn Karl nicht zahlt, kann sie sich den Strick nehmen, denn sie ist ja vollständig mittellos, hat auch nicht vorgesorgt oder irgendwelche privaten persönlichen Mittel angelegt, sie hat buchstäblich nichts; in anderen Fällen aber, zum Beispiel als sie mit den Hohnsteiner Meyers tratschte, die sie früher mal als „Trölschbande“ bezeichnet hat, vor denen man sich hüten müsse, richtet sie Schaden an, breitet das Innerste aus, sodass diese Leute unaufgefordert Briefe an Karl geschrieben, blöde Briefe, unsinniges Zeug, und das halbe Nest Hohnstein in Aufregung versetzt haben; und sie merkt dabei nicht, diese saudumme Miezi, wie sie sich am Ende selber schadet; denn was ist, wenn ihr Karl, endgültig verärgert, den Geldhahn zudreht? Ach, Emma, was bist du nur für ein Unglückshuhn! Sie kann einem leidtun, wenn man sich nicht über sie so sehr ärgern müsste – das denkt Klara May, neben ihrer alten Freundin sitzend, und anderes noch geht ihr durch den Kopf, denn auf einmal fällt ihr dieser seltsame Fahrgast im Zugabteil (Lebius hieß er?) wieder ein. Was der nur hier in Weimar will? Wen will er treffen? Woher kennt sie seinen Namen? Sie ist sich jetzt sicher, ihn schon gehört zu haben. Wer ist er bloß? Aber, sie findet keine Erklärung, weiß sich keinen Reim auf das Auftauchen dieses Menschen zu machen und nur dieses ungute, mulmige Gefühl hockt in ihr, die Vorahnung irgendeines großen Unheils …
Auf einmal draußen auf dem Flur Stimmen.
Die Stimme des Anwalts Dr. Neumann, deutlich verärgert, indes um Dämpfung bemüht, und die Stimme einer älteren Frau, unangenehm, keifend, laut. Sie sagt, wenn ihre Umsicht und Einsatzfreude auf diese Weise zunichte gemacht werde, dann werde sie in Zukunft kürzer treten, dann werde er ja schon sehen, wo er bleibe, der Herr Anwalt, um nichts kümmere er sich, ließe alles schleifen, habe nur noch seine Schriftstellerei und sein neues Manuskript im Kopfe, und die Praxis verlottere, wenn sie, die Irmlin, nicht wäre, könne er zusperren, dann habe er bald nichts mehr in der Wirtschaft, kein Brot, kein Obst, weder Wurst noch Fleisch oder gar einen einfachen Putzlappen, die Schuhe blieben ungeputzt, die Hemden und Anzüge ungebügelt, die Fenster verstaubten, die Gardinen würden grau und lappig, die Fußböden verdreckten und jeden zweiten Termin werde er verbummeln, aus der Kammer würden sie ihn wegen seiner Unzuverlässigkeit werfen oder weil sich die Beschwerden häuften, mit Fingern würde man im kleinen Weimar auf ihn zeigen, und die Bank buche ihm kein einziges Honorar oder eine Rechnung mehr, er verliere jede Kreditwürdigkeit, von den unerledigten Postbergen gar nicht zu reden oder von anderem, was sie hier in der Öffentlichkeit gar nicht sagen wolle, wie zum Beispiel, dass sich sicher auch das Fräulein Braut von ihm abwenden werde, dann sei es aus mit dieser aussichtsreichen Partie und dann habe er niemanden mehr, denn auch sie, seine überaus geduldige Haushälterin, werde ihm, wenn das so weitergehe, den Dreck buchstäblich vor die Füße werfen …
Es folgt ein Augenblick der Stille. Dann hört man wieder den Anwalt. Was er sagt, ist nicht zu verstehen, denn er flüstert oder redet mit gepresster Stimme, aber es müssen beschwörende Worte sein, vielleicht auch eindringlich ermahnende, Worte des Brotherrn gegenüber seiner Angestellten, denn die Haushälterin wird leiser, ihre Entgegnungen reduzieren sich auf knappe Antworten, ein devoter Ton zieht ein, schließlich ist ein „Jawohl, Herr Doktor!“ und ein „Selbstverständlich!“, „Sie können sich drauf verlassen!“ zu hören, dann schlägt am Ende des Flurs eine Tür zu. Wieder Stille. Offensichtlich verharrt der Anwalt auf dem Flur, überlegt, ob und wie er seinen Klienten sagen soll, was soeben vorgefallen. Dann Schritte, die auf die Tür des Wartezimmers zukommen.
Die Damen, die alles gehört und die sich ihren Reim gemacht haben, lauschen gespannt auf die näherkommenden Schritte, beobachten die Messingklinke, wie sie nach unten gedrückt, schrecken sogar ein wenig zusammen, wie die Tür aufgerissen wird und der Anwalt Dr. Neumann erscheint, bekleidet mit einem grauen gestreiften Anzug, mit Lackschuhen und einem Binder, der nicht zum Anzug passt. Gar nicht wie von den Damen erwartet, macht er ein fröhliches, sogar entspanntes Gesicht.
Entschuldigen Sie die Wartezeit! Er verneigt
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