Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
sich in seiner Weise.
Ich … ich, er bricht ab, macht mit der Hand eine wegwerfende Bewegung. Wenn ich Sie jetzt in mein Kanzleizimmer bitten darf. Er zieht seine Taschenuhr. Wir sollten uns beeilen, sagt er noch. In zwei Stunden habe er einen Termin bei Gericht.
Man geht über den Flur ins Kanzleizimmer. Hinter der Küchentür am Ende des Flurs sind klappernde Geräusche zu hören, ziemlich laut, ungeniert, ganz so als ob jemand seinen Ärger am Geschirr auslässt. Das Kanzleizimmer ist nicht groß, aber ebenso hoch wie das Wartezimmer. Gedämpftes Licht fällt durch schwere Vorhänge. Das Zimmer ist bieder eingerichtet. Die Möbel aus Kirschbaum, dunkel, poliert. Ein breiter Schreibtisch, darauf eine kleine elektrische Stehlampe, Messingfuß, der Schirm aus bemaltem Glas, Aktenstapel, Papiere, nicht sehr ordentlich, vor dem Schreibtisch zwei ledergepolsterte Stühle, der Lampe gegenüber auf der Schreibtischplatte eine Messingfigur – Atlas, die Erde tragend, abgegriffen und mit goldglänzenden Stellen, links und rechts im Zimmer zwei Aktenschränke mit hölzernen Lamellenläden, obenauf Gipsfiguren, antike Kopien, höchstwahrscheinlich Praxiteles, der Fußboden wieder mit Parkett belegt, indes besser in Schuss als im Wartezimmer, in einer Ecke, links neben der Tür schließlich ein Tischchen mit zwei durchgesessenen Ledersesseln, auf dem Tischchen eine Vase, darin, wie im Wartezimmer, halb vertrocknete Herbstastern …
Wenn ich die Damen …, der Anwalt macht eine einladende Geste, bittet die Damen auf den Stühlen vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Er selber setzt sich ein wenig umständlich dahinter, probiert die Armlehnen seines Sessels, umfasst die kleinen vorderen Löwenköpfe, dreht seine Hände hin und her, als ob er sie polieren oder abzutasten versucht.
Na, meine Damen, da wollen wir mal.
Er nimmt eine Akte und verliest daraus einen Text. Herr Karl Heinrich May, wohnhaft in Radebeul bei Dresden, Kirchstraße 5, habe seine Kanzlei beauftragt, folgenden Vertrag aufzusetzen: Frau Emma Pollmer, vormalige May, geborene Pollmer, erhalte schenkungsweise eine jährliche Rente von 3000 Reichsmark für ihre Lebenshaltung, zahlbar a conto in monatlichen Vorauszahlungen von 250 Reichsmark. Dafür verpflichte sich die Beschenkte, auf jedwede Aktivitäten, die geeignet seien, Herrn Karl Heinrich May in seinem Ruf zu schädigen, zu verzichten und sich in einem Mindestabstand zum Wohnorte des May von 100 Kilometern aufzuhalten, ergo ihren Wohnsitz in diesem Abstand zu nehmen. Es werde daher Weimar für ein geeigneter Aufenthalt gehalten. Die Beschenkte erhalte des Weiteren alle ihre privaten Möbel oder solche, auf die sie aus der früheren Ehe unbedingten Wert lege, des Weiteren gewünschte Nippes wie Vasen, Figurinen und Bücher in beliebiger Zahl. Insofern sich die Beschenkte an die Auflagen halte, läge es in der Intention des Herrn Karl Heinrich May, die Zahlungen an Frau Pollmer bis an ihr Lebensende aufrechtzuerhalten. Zur Rechtskräftigkeit dieses Vertrages habe er seine Ehefrau Klara May per Vollmacht beauftragt …
Klara nickt und zeigt die Vollmacht vor.
Der Anwalt wirft einen Blick darauf, nickt ebenfalls, sagt, ja, in Ordnung, Frau May.
Emma, bei dem Wort „Frau May“, zuckt zusammen, blickt geradeaus, mit leeren Augen. Sie ist den Tränen nahe, ballt ihre fleischigen und geschwollenen Hände. Was bleibt ihr, sagt sie sich, als anzunehmen. In die Ecke haben sie mich manövriert wie ein ausrangiertes Möbel. Nach Weimar, ha, ha. Hier wird sie bleiben müssen, hier wird sie womöglich sterben. In diesem Kaff. Zuerst leise, wie zu sich selbst, doch allmählich immer lauter werdend, sagt sie:
Als ob man ins Exil ginge, so fühle sie sich. Rechtslos, mittellos, arm und ausgestoßen. Eine Frau! Die Ehemalige eines berühmten Mannes, dem es jetzt gefalle, eine Jüngere, eine Neue, Attraktivere an seiner Seite durchzufüttern …
Klara unterbricht sie. Miez! Sei nicht ungerecht. Du hast dir das alles selber eingebrockt. Wie du dich verhalten hast, in den letzten Jahren, das kann kein Mann dulden. Und du wolltest dich ja von ihm trennen. Weißt du noch, wie du zu mir sagtest: Den kannst du haben, ich geb ihn dir, so einen will ich nicht! Wörtlich, Miez, wörtlich hast du das gesagt, und noch Ärgeres, das ich hier gar nicht ausbreiten will. Weißt du es nicht mehr? Alles vergessen?
Der Anwalt blickt von einer zu anderen. Er wirkt ratlos. Bitte, meine Damen, ich bitte Sie! Er wendet sich Emma zu.
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