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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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offensichtlicher Genugtuung vor.
    »Alles klar!«, rief Tom.
    »Oh, Mann«, murmelte Michael.
    »Welche Art von dunkelsten Fantasien?«, erkundigte sich Summer.
    Rätsel, dachte Jenny. Gefahr. Verführung. Furcht. Offenbarte Geheimnisse. Enthüllte Begierden.
    Versuchung.
    »Was ist los mit dir, Thorny?«, fragte Tom liebevoll. »Du bist so nervös.«
    »Es ist nur – ich weiß nicht, ob ich dieses Spiel mag.« Jenny blickte zu ihm auf. »Aber du magst es, nicht wahr?«
    »Und wie!« Seine warmen braunen Augen mit den grünen Einsprengseln funkelten. »Gibt bestimmt den einen oder andern Lacher.« Dann fügte er hinzu: »Hab keine Angst. Ich werde dich beschützen.«
    Jenny schenkte ihm einen spöttischen Blick und lehnte sich an ihn. Sobald sie nicht bei Tom war, vermisste ihr Unterarm ihn, und das Gleiche galt für ihre Schulter, ihre Brust und ihre Hüfte. Ihre ganze rechte Seite, weil sie immer links von Tom saß.
    »Geh und hol ein paar von Joeys Bleistiften«, forderte Dee Summer auf. »Wir werden viel malen müssen. Nicht nur die Papierpuppen, wir sollen auch unseren schlimmsten Albtraum malen.«
    »Warum?«, fragte Michael alles andere als erfreut.

    »Ich hab’s euch doch gesagt. Wir müssen uns in jedem Raum einem anderen Albtraum stellen. Also zeichnet jeder von uns einen Albtraum auf ein Blatt Papier, wir mischen die Blätter und legen sie jeweils verdeckt auf den Boden der verschiedenen Räume. Wenn du dann in einen Raum kommst, schaust du dir das Blatt an und erfährst den Albtraum von einem von uns.«
    Tom wischte sich die Finger an seiner Jeans ab und setzte sich neben Dee auf die Couch, dann beugte er den Kopf über die Spielregeln. Summer sprang auf, um die Stifte aus dem Zimmer von Jennys kleinem Bruder zu holen. Zach ignorierte die anderen einfach und arbeitete still vor sich hin. Zach sagte nie etwas, es sei denn, er hatte etwas zu sagen.
    »Ich glaube, das wird mir gefallen«, bemerkte Audrey, während sie bedächtig die verschiedenen Zimmer mit Pappmöbeln ausstattete. Sie summte ein wenig vor sich hin, ihre lackierten Nägel glänzten und ihr Haar leuchtete kupfern unter der Lichtleiste des Wohnzimmers.
    »Hier sind die Bleistifte und ich hab auch noch einige Buntstifte gefunden«, erklärte Summer, die mit einer Tupperdose zurückkam. »Auf jeden Fall genug für alle.« Sie stöberte zwischen den glänzenden Pappbögen, die noch in der Schachtel lagen, und zog schließlich einen heraus, auf dem menschliche Umrisse abgedruckt waren. Die Papierpuppen.
    Alle unterhielten sich bestens. Das Spiel war der Hit, die Party ein Erfolg. Trotzdem fröstelte Jenny.
    Allerdings musste sie zugeben, dass das saubere Ausschneiden
entlang der gepunkteten Linien eine gewisse Befriedigung brachte. Es weckte alte Erinnerungen. Und das Ausmalen der Papierpuppen machte ebenfalls Spaß, wenn die Buntstifte kräftig über den festen Karton strichen.
    Aber als es daran ging, das Blatt Papier zu bemalen, das Summer ihr als Nächstes reichte, hielt sie hilflos inne.
    Einen Albtraum zeichnen? Ihren schlimmsten Albtraum? Das konnte sie nicht.
    Sie hatte zwar einen Albtraum. Ihren eigenen persönlichen, ganz speziellen Albtraum, der auf etwas beruhte, das vor langer Zeit geschehen war … Aber sie konnte sich nicht daran erinnern. Sie konnte sich niemals daran erinnern, wenn sie wach war.
    Sofort befiel sie dieses schreckliche Gefühl, das sie manchmal spätabends hatte. Ein furchteinflößendes Gefühl. War sie die einzige Person auf der Welt, die mitten in der Nacht aufschreckte, überzeugt davon, dass sie irgendein grauenvolles Geheimnis aufgedeckt hatte – ohne sich daran erinnern zu können, was es war? War sie die einzige Person, der vor Angst ganz schlecht wurde, und die sich nicht daran erinnern konnte, wovor sie Angst hatte?
    Plötzlich erschien ein Bild vor ihrem inneren Auge. Ihr Großvater. Der Vater ihrer Mutter. Schütteres weißes Haar, ein freundliches Gesicht, müde aber funkelnde dunkle Augen. Als sie fünf Jahre alt war, hatte er sie mit Souvenirs von fernen Orten und Zauberkunststückchen unterhalten, die ihr als Kind so echt erschienen waren.
Sein Keller war voller wunderbarer Dinge gewesen. Bis zu dem Tag, an dem etwas geschehen war …
     
    Dieser letzte schreckliche Tag …
    Das Bild verblasste und Jenny war froh darüber. Das Einzige, was noch schlimmer war, als sich nicht zu erinnern, war die Erinnerung selbst. Besser, man ließ die ganze Sache einfach ruhen. Zwar hatten die Therapeuten

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