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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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nicht öffnete – wenn er es gar nicht erst versuchte  –, konnte das, was auf der Karte stand, auch nicht eintreten.
    Tom entriegelte die Tür und riss an dem Griff, ohne Jenny zu beachten. »Da stimmt etwas nicht mit der Tür – gibt es noch einen anderen Riegel?«
    »Sie klemmt«, stellte Michael fest. Er fuhr sich mit der Hand durch sein zerwühltes, dunkles Haar.
    »Sei nicht dumm«, blaffte Audrey.
    Dees schlehenfarbene Augen glitzerten. Ihre Hand schnellte vor und nahm die nächste Karte. »›Keine Tür und kein Fenster in diesem Haus werden sich öffnen lassen‹« , verkündete sie.
    Tom rüttelte weiterhin an der Tür, wenngleich Jenny seinen Arm nicht mehr losließ. Aber die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Jenny zitterte am ganzen Körper; sie spürte eine vage Gefahr.
    »Zieh eine andere Karte«, sagte Zach leise. Sein schmales Gesicht hatte plötzlich etwas Seltsames an sich – es wirkte beinah wie in Trance. Ausgeknockt.
    »Nein!«, rief Jenny.
    Zachary nahm die Karte selbst.
    »Nein!«, rief Jenny noch einmal. Sie musste dem ein Ende machen, aber sie konnte Tom nicht loslassen. »Zach, lies sie nicht vor!«

    »›Du hörst die Uhr neun schlagen‹«, sagte Zachary leise.
    »Jenny hat keine Uhren, die schlagen«, stellte Audrey fest. Sie sah Jenny scharf an. »Oder? Oder ?«
    Jenny schüttelte den Kopf. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Jeder Zentimeter ihres Körpers schien angespannt zu sein. Zu warten. Zu lauschen.
    Da erklangen die Glockenschläge, klar und süß. Die Glockenschläge der Uhr aus dem Spieleladen, der Uhr, die sie nicht sehen konnte. Der Klang schien von weit über ihnen zu kommen. Die Glocke begann, die Stunde zu schlagen.
    Eins. Zwei. Drei. Vier.
    »Oh Gott«, sagte Audrey.
    Fünf. Sechs. Sieben.
    Um neun, dachte Jenny. Bis dann – um neun.
    Acht …
    »Tom«, flüsterte Jenny. Sie spürte, wie sich seine Muskeln unter ihrer Hand verhärteten. Jetzt – zu spät – drehte er sich zu ihr um.
    Neun.
    Dann kam der Wind.
     
    Zuerst dachte Jenny, dass eine Flutwelle über sie hereinbrach. Oder ein Erdbeben. Und doch hatte sie das Gefühl, dass Luft an ihr vorbeiströmte, als schieße ein Tornado durch die geschlossene gläserne Schiebetür. Ein schwarzer, brüllender Tornado, der ihre Haut brennen ließ, während sie furchtbar fror. Ein grauenvoller Schmerz erschütterte
sie und machte sie blind. Sie verlor das Gefühl für Zeit und Raum. Das einzig Reale war Toms Hemd, in das sie die Finger gekrallt hatte.
    Aber auch dafür verlor sie schließlich völlig das Gefühl. Dann hörte der Schmerz auf und sie driftete einfach dahin.
     
    Auf dem Boden kam sie wieder zu sich.
    Fast wie damals, als sie ebenfalls ohnmächtig geworden war. Sie und Joey lagen beide mit einer Grippe im Bett, als sie plötzlich aufgesprungen war, um ihm zu sagen, er solle seinen blöden Fernseh-Comic leiser drehen – und im nächsten Moment war sie mit dem Kopf im Papierkorbwieder erwacht. Damals lag sie auf dem Teppich in ihrem Zimmer und hatte gewusst, dass einige Zeit verstrichen war, ohne genau zu wissen, woher sie es wusste. Das war jetzt genauso.
    Unter Schmerzen hob Jenny den Kopf und blinzelte, um die Wand gegenüber scharf zu sehen.
    Es funktionierte nicht. Irgendetwas stimmte nicht. Die Wand selbst stimmte nicht. Sie hätte eigentlich pastellfarben sein sollen, voller Wandbehänge und Körbe. Stattdessen war sie mit dunklem Holz vertäfelt und ein orientalischer Wandschirm stand davor. Schwere Samtvorhänge verdeckten ein Fenster. Ein Messingkerzenleuchter war an der Wand befestigt. Jenny hatte noch niemals zuvor auch nur eins dieser Dinge gesehen.
    Wo bin ich?

    Die klassische Frage, das abgedroschene Klischee. Aber sie wusste es wirklich nicht. Sie wusste nicht, wo sie war oder wie sie dorthin gekommen war. Sie wusste nur, dass es falsch war. Dass das, was hier auch immer im Gange war, all ihre Erfahrungen überstieg.
    Solche Dinge geschahen nicht.
    Und trotzdem war es geschehen.
    Gedanken überschlugen sich orientierungslos in ihrem Kopf. Panik stieg in ihr auf. Sie begann zu zittern und spürte, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle bildete.
    Nein. Fang jetzt bloß nicht an zu schreien, denn wenn du jetzt schreist, wirst du nie wieder aufhören, sagte sie sich. Denk nicht darüber nach. Du brauchst dich nicht damit zu befassen. Du musst nur Tom finden.
    Tom. Zum ersten Mal sah Jenny sich auf dem Fußboden um. Sie lagen alle dort – Zach, dessen blonder Pferdeschwanz sich hinter ihm

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