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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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ihn, während sie über das glatte Mahagoni des Salontisches strich. Offensichtlich verspürte sie den gleichen Drang wie Dee und Michael – Dinge hier zu berühren. Sie erwartete die ganze Zeit, dass sie sich wie
Pappe anfühlen würden, aber das taten sie nicht. Sie waren echt.
    »Okay«, begann Tom, »wir sind nicht im Wohnzimmer. Wir sind irgendwie – verschoben worden. Irgendjemand spielt uns einen Streich. Aber wir müssen noch lange nicht wie Idioten rumstehen und uns das gefallen lassen.«
    »Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?«, fragte Audrey schneidend.
    Tom ging zur Salontür, die in einen schummrigen Flur führte. »Die Jungs können mit mir kommen und sich umschauen; ihr Mädchen bleibt hier und haltet die Augen offen.«
    Dee warf ihm einen geringschätzigen Blick zu, dann betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen »die Jungs«. Michael murmelte vor sich hin und betastete die Wände, während Zach sich nur mit großen Augen umschaute; die Haut seines schmalen Gesichtes spannte über den Knochen. Jenny wollte zu ihm gehen, aber sie konnte sich nicht bewegen.
    »Viel Glück«, sagte Dee zu Tom. »Kommt bloß schnell wieder zurück, um uns zu beschützen.«
    »Niemand geht weg«, sagte Summer mit feuchten blauen Augen.
    »Du beschützt Jenny «, knurrte Tom, das Gesicht dicht vor Dees. Für einen Moment verspürte Jenny eine pulsierende Wärme, die jedoch abrupt von Kälte abgelöst wurde. Wie konnte hier überhaupt irgendjemand irgendwen beschützen?

    Dee durchquerte den Raum und legte ihren Arm, stark wie der eines Jungen, um Jennys Schultern. »In Ordnung«, sagte sie.
    »Ich denke, wir sollten zusammenbleiben«, meinte Michael nervös.
    »Oh, was macht das denn für einen Unterschied ?«, fragte Audrey gereizt. »Das alles passiert ohnehin nicht wirklich. Wir sind nicht hier .«
    »Was dann?«, gab Summer beinahe hysterisch zurück. »Wo sind wir denn dann?«
    »In dem Spiel.«
    Die Stimme kam aus einer Ecke des Raumes, aus der Dunkelheit hinter dem orientalischen Wandschirm. Die Stimme gehörte niemandem aus ihrer Clique und doch war sie Jenny vertraut. Sie hatte sie bisher nur ein einziges Mal gehört, aber sie erkannte sie sofort wieder. Wie Wasser, das über Felsen rauscht, war sie voller elementarer Musik.
    Alle drehten sich um.
    Der Junge trat aus der Dunkelheit.
    Er war genauso schön wie in dem Laden. Aber hier, vor dem Hintergrund dieser überaus malerischen Kulisse, wirkte er noch exotischer. In dem schwachen Licht leuchtete sein Haar wie das Fell einer Katze oder wie Bergschnee. Er trug eine schwarze, ärmellose Weste und Hosen, die aussahen wie aus Schlangenhaut. Seine nackten Arme waren muskulös und glatt, die schweren Lider beschirmt von langen Wimpern. Er lächelte.

    Summer schnappte nach Luft. »Das Bild. Die Papierpuppe in der Schachtel. Er ist es  … «
    »Der Schattenmann«, stieß Michael heiser hervor.
    »Mach keine Witze«, sagte Tom. Mit zusammengekniffenen Lippen musterte er die Erscheinung von Kopf bis Fuß. »Wer zur Hölle bist du? Was willst du?«
    Der Junge in Schwarz machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Jetzt konnte Jenny die unbeschreibliche Farbe seiner Augen sehen – wie Tageslicht –, obwohl er sie nicht ansah. Sein Blick wanderte über die anderen, und Jenny beobachtete gebannt seine Wirkung; eine Welle eiskalter Luft schien ihre Freunde zu erfassen und ließ sie dichter zusammendrängen. Sie konnte die Reaktion eines jeden beobachten, während sie in sein Gesicht schauten und darin  – etwas sahen. Etwas, bei dem sich ihre Augen weiteten und ihr Argwohn sich in blanke Furcht verwandelte.
    »Warum nennt ihr mich nicht Julian?«
    »Ist das dein Name?«, fragte Tom viel leiser.
    »So gut wie jeder andere.«
    »Wer immer du bist, wir haben keine Angst vor dir«, erklärte Dee plötzlich, dann ließ sie Jenny los und trat vor. Es klang wie die Wahrheit, als hätte zumindest Dee keine Angst, und das schien auch die anderen zu ermutigen.
    »Wir wollen wissen, was los ist«, sagte Tom, wieder mit lauter Stimme.
    »Wir haben dir nichts getan. Bitte, lass uns einfach nach Hause gehen«, fügte Summer hinzu.
    »Du kannst nicht einfach wieder nach Hause gehen«,
murmelte Zach. Es war das erste Mal, dass er etwas gesagt hatte. Er zeigte ein seltsames, schwaches Lächeln.
    »Kumpel, du bist schlechter in Form als ich«, zischte Michael ihm zu. Zach antwortete nicht.
    Nur Jenny hielt sich zurück; sie rührte sich nicht, sie sagte nichts. Das Grauen,

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