Die Gejagte

auffächerte (auf einem moosgrünen Teppich mit Kohlröschenmuster, aber denk nicht darüber nach, denk jetzt nicht darüber nach! ), Summer, die ihre schmalen Arme schützend um die weichen Locken gewunden hatte, Audrey, deren Hochsteckfrisur sich auflöste. Dee hatte ihre langen Beine am Fenster ausgestreckt, und Michael lag zusammengerollt neben ihr. Tom entdeckte sie an der Wand – an der die gläserne Schiebetür hätte sein sollen. Als Jenny sich unsicher aufrappelte und zu ihm ging, regte er sich.
    »Tom? Geht es dir gut?« Sie nahm seine Hand, und als sich seine warmen, starken Finger um ihre schlossen,
fühlte sie sich besser. Er stöhnte und öffnete die Augen.
    »Höllische Kopfschmerzen«, murmelte er. »Was ist passiert?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Jenny mit leiser, klarer Stimme. Sie stand immer noch kurz vor einem hysterischen Anfall. Sie klammerte sich so heftig an seine Hand, dass er wahrscheinlich blaue Flecken bekäme. »Wir sind nicht mehr im Wohnzimmer.«
    Es war die Wahrheit und sie musste sie einfach aussprechen. Sie musste es irgendjemandem sagen, so wie Summer es hatte loswerden müssen, als ihr Hund eingeschläfert wurde. Aber Tom runzelte die Stirn.
    »Sei nicht dumm«, sagte er, und Jenny verspürte wieder jenen kleinen Nadelstich, den sie immer verspürte, wenn er sie anfuhr. »Wir können gar nicht irgendwo anders sein. Alles ist in Ordnung.«
    Seine gute Laune war dahin, ebenso wie der verwegene Charme seines Lächelns. Sein sportlicher Haarschnitt war leicht zerzaust und der Blick seiner grün gesprenkelten Augen wirkte benommen und wütend zugleich.
    Er glaubt, sich verteidigen zu müssen, begriff Jenny. Er hat Angst, dass das hier seine Schuld ist. Sie wollte seine Hand drücken, aber er stand auf.
    Auch die anderen rappelten sich hoch. Dee rieb sich den Nacken und sah sich mit schnellen, wachsamen Augen um. Dann beugte sie sich vor und zog den stöhnenden Michael auf die Füße. Audrey stand ebenfalls auf, und ihre
Hände wanderten automatisch nach oben, um die Haarnadeln in ihrer Frisur wieder festzustecken, während sie mit großen Augen in den Raum starrte.
    Summer hockte neben einem Tisch mit dünnen Beinen, der den Platz des Couchtischs von Jennys Mutter eingenommen hatte. Nur Zach wirkte nicht verängstigt. Er sah sich mit seinen wachen, klaren grauen Augen aufmerksam um, während sich seine Lippen lautlos bewegten. Dabei wirkte er wie in einem Traum. Wie in Trance.
    Niemand sagte ein Wort. Jeder von ihnen blickte um sich und versuchte zu verstehen, wo sie jetzt waren.
    Sie standen in einem viktorianischen Salon mit üppigem Teppich, der mit Tischen und Stühlen im neugotischen Stil möbliert war. Eine grüne Lampe mit Seidenfransen hing von der Decke. Die perfekte Umgebung, um eine Seance abzuhalten.
    Jenny erkannte den Raum.
    Sie hatte das Kohlröschenmuster des Teppichs auf einem Pappbogen gesehen. Zach hatte den Bogen ausgeschnitten und Audrey hatte diesen Salontisch zusammengesetzt.
    Sie waren in dem Papierhaus. Es war um sie herum auf Lebensgröße angewachsen. Sie waren darin …
    Jenny hob langsam die Hände vor den Mund. Ihr Herz begann, ungesund heftig an ihre Brust zu hämmern.
    »Oh mein Gott«, flüsterte Summer. »Oh mein Gott, Ohmeingott  …« Ihre Stimme wurde schriller.
    Michael begann, hysterisch zu kichern.

    »Seid still«, sagte Audrey schwer atmend. »Alle beide, seid still!«
    Dee ging zur Wand und berührte einen Kerzenleuchter; ihre Finger hoben sich dunkel von dem schimmernden Messing ab. Dann streckte sie sich und stieß einen Finger in die Kerzenflamme.
    »Dee!«, rief Tom.
    »Sie ist echt«, erklärte Dee und betrachtete ihre Fingerspitze. »Sie brennt.«
    »Natürlich ist sie nicht echt!«, widersprach Audrey. »Das ist alles … irgendeine Art von Illusion. Virtuelle Realität …«
    Dees Augen blitzten. »Von wegen virtuelle Realität. Meine Mom ist Computerexpertin – sie weiß, was virtuelle Realität ist. Nicht mal Videospiele können so was wie hier zustande bringen. Außerdem, wo ist der Computer? Wo sind unsere Helme?« Sie schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. »Nein, das hier ist echt .«
    Michael ertastete einen Stuhl und kicherte immer noch schwach. »Vielleicht ist einer von Audreys Pilzen schuld. Wie heißen die noch gleich? Shiitake? Vielleicht wurde ein Urteil über uns gesprochen.«
    »Immer mit der Ruhe, Mike«, sagte Tom. Er wirkte wütend, und das bedeutete, dass er sich unsicher fühlte. Jenny beobachtete