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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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überwunden«, bemerkte Julian.
    Jenny trat mitten in das hinein, was Tom anstarrte. Sie spürte nichts als Luft um ihre nackten Knöchel. Sie sah nichts. Im Gegensatz zu Tom – er riss sie an sich, zurück an die Wand, und fiel mit ihr zusammen auf die Knie. Er trat um sich.
    »Tom, nicht! Da ist nichts! Tom, sieh mich an !«
    Seine grün gesprenkelten Augen zeigten einen wilden Ausdruck. »Bleibt von mir weg. Bleibt zurück!« Mit einem ausgestreckten Bein rutschte er über den leeren Boden neben Jenny und versuchte, etwas wegzutreten. Sein Mund zitterte vor Ekel.
    »Tom«, schluchzte sie und schüttelte ihn. Er sah sie nicht einmal an. Sie begrub das Gesicht an seiner Schulter, hielt ihn mit aller Kraft fest und versuchte verzweifelt, ihn wieder zur Vernunft zu bringen.
    Und dann – sackten ihre Arme kraftlos ins Leere. Es
war wie in einem dieser Zaubertricks, in denen das schöne Mädchen unter einem Laken versteckt ist – und dann sinkt das Laken plötzlich ein und fällt auf den Boden. Tom war da – und mit einem Mal war es nicht mehr.
    Sie schrie.
    Hilflos und aufgewühlt sah sie auf ihre Hände hinab, auf ihren Schoß. Auf den Boden. Tom konnte nicht weg sein.
    Aber er war es.
    Sie schaute hinter sich und sah, dass die anderen ebenfalls verschwunden waren.
    Jennys Blick huschte zu dem schwach beleuchteten Flur. Er war verlassen. Die Vorhänge hingen schlaff und reglos über dem Fenster. Aber Dee war weg, Audrey war weg, und auch Zach, Mike und Summer waren aus dem Salon verschwunden. Alle fünf, ohne einen Laut. So wie Dinge aus Träumen verschwinden.
    Bitte, mach, dass es ein Traum ist, dachte Jenny. Ich hab jetzt wirklich genug. Bitte, lass es ein Traum sein.
    Sie klammerte sich so heftig an den Teppich, dass ihre Fingernägel sich nach hinten bogen. Es tat weh, aber der Schmerz weckte sie nicht auf. Nichts veränderte sich. Ihre Freunde blieben verschwunden.
    Nur der Junge in Schwarz war immer noch da.
    »Wo sind sie? Was hast du mit ihnen gemacht?«, fragte sie. Sie war so benommen, dass ihre Stimme klang, als sei sie verrückt geworden.
    Julian lächelte verschmitzt. »Sie sind oben, im Haus verteilt, und warten darauf, sich ihren Albträumen zu stellen.
Warten auf dich. Du wirst sie finden, während du durch das Spiel gehst.«
    »Während ich gehe?«, fragte Jenny verwirrt. »Hör mal, du verstehst nicht. Ich weiß nicht, was …«
    »Du bist hier die Hauptfigur«, unterbrach er sie mit sanftem Nachdruck. »Die Tür, die zurück in deine Welt führt, befindet sich ganz oben im Haus, und sie ist offen. Wenn es dir gelingt, sie zu erreichen, darfst du gehen. Nimm deine Freunde mit und sie dürfen ebenfalls gehen.«
    Jennys Gedanken kreisten um eine einzige Sache. »Wo ist Tom? Ich will …«
    »Dein … Tom  … ist ganz oben.« Er sprach den Namen aus wie etwas, das man in guter Gesellschaft nicht erwähnte. »Ich werde ihm meine ganz besondere Aufmerksamkeit schenken. Du wirst ihn sehen, wenn du dort ankommst  – falls du dort ankommst.«
    »Hör mal, bitte. Ich will kein Spiel spielen«, sagte Jenny, als sei dies alles ein Versehen, das sich irgendwie aufklären ließ, solange sie vernünftig blieb. Solange sie seinen Blick mied. »Ich weiß nicht, was du dir gedacht hast, aber …«
    Er unterbrach sie erneut. »Und wenn du nicht dort ankommst, dann gewinne ich. Und du bleibst hier bei mir.«
    »Wie meinst du das – bei dir?«, fragte Jenny scharf und vergaß plötzlich alle Höflichkeit.
    Er lächelte. »Ich meine, dass du an diesem Ort bleibst, in meiner Welt. Mit mir – und du wirst mir gehören.«
    Jenny starrte ihn an – dann war es endgültig um ihre Selbstbeherrschung geschehen und sie sprang auf die
Beine. »Du bist ja völlig wahnsinnig!«, stieß sie hervor. Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt, aber mit Gewalt hatte sie keine Erfahrung.
    »Vorsicht, Jenny.«
    Sie hielt inne. Da war etwas in ihm, das sie einschüchterte. In seinen Augen lag etwas so Fremdartiges, Furchteinflößendes, dass sie erstarrte. Das war der Moment, in dem sie endlich glaubte, was geschah. In dem ihr endlich dämmerte, was dieser Junge getan hatte, was heute Abend geschehen war. Dieser Typ, der vor ihr stand und beinahe menschlich aussah, konnte zaubern.
    »Oh Gott«, flüsterte sie.
    Ihre Aggression war verebbt, abgelöst von einer Angst, die älter war und tiefer saß als alles andere. Irgendetwas in ihr erkannte ihn aus einer längst vergangenen Zeit; aus einer Zeit, als Mädchen mit

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