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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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hatte immer so weltgewandt gewirkt, so unverletzbar – jetzt hatte Jenny zum ersten Mal hinter ihre Fassade geblickt.
    »Es war bestimmt nicht leicht, in all diesen fremden Ländern zu leben«, bemerkte Jenny und schaute zu Dee hinüber.
    Audrey, die gerade ihre Ponyfransen ausschüttelte, hielt einen Moment inne. Dann klappte sie ihre Puderdose mit einem Klicken zu.
    »Ehrlich gesagt – es war schrecklich«, erwiderte sie. »Jedes Mal aufs Neue ein richtiger Kulturschock. Diese Entwurzelung  – diese Unsicherheit –, und du weißt nie, wann du wieder umziehen musst. Selbst jetzt da Daddy nicht mehr im Dienst ist, habe ich immer noch das Gefühl …«
    »Als sei es schwer, echte Freunde zu gewinnen?«
    Audrey nickte. »Ich habe das Gefühl, als könnte es jede Minute so weit sein, dass wir zusammenpacken und wieder abreisen müssen.«
    »Aber das musst du nicht mehr«, sagte Jenny. »Du bleibst hier bei uns.« Wieder sah sie Dee an. »Richtig?«
    »Oh, natürlich«, sagte Dee, und da war kein Groll in ihrer
Stimme. Sie legte Audrey eine schlanke, dunkle Hand auf den Rücken.
    »Wisst ihr, eins verstehe ich nicht«, erklärte Jenny plötzlich. »Diese Jungs im Wald schienen doch ganz nett zu sein – also, warum haben sie das getan? Warum haben sie uns ausgeliefert?«
    »Nun – Elfen tun den Menschen angeblich Gefallen. Antworten auf Fragen, erledigen Arbeiten. Aber sie wollen immer etwas als Gegenleistung, und wenn du sie rufst und versuchst, sie zu fangen, fangen sie manchmal dich. Und nehmen dich in ihre Welt mit. Ich schätze, diese Jungs dachten einfach, dass wir entbehrlicher wären als sie selbst.«
    Jenny nickte. »Eine Sache noch …«
    »Oh Mann, immer gibt es noch eine Sache !«, unterbrach Dee sie genervt.
    »… von wem von euch beiden stammt diese Tür?«, fuhr Jenny unbeirrt fort. »Ich meine, da ich noch nie eine solche Tür gesehen habe, kann sie nicht meinem Geist entsprungen sein.«
    »Aber meinem, nehme ich an«, antwortete Audrey. »Ich habe solche Türen in Deutschland gesehen – aber ich habe sie nicht dort hingestellt. Sie ist einfach aufgetaucht.«
    »Du kannst hier auch gar nichts hinstellen oder wegnehmen, indem du deinen Geist benutzt«, erklärte Dee. »Du musst mit allem hier fertig werden, als sei es real.«
    »Aber wo ist hier?«, fragte Audrey trostlos.
    »Gute Frage«, erwiderte Jenny. »Auf jeden Fall ist es
kein Ort auf Erden, nach allem, was ich durchs Fenster gesehen habe.«
    »Die Schattenwelt«, sagte Dee. »Erinnert ihr euch an die Spielregeln? Eine Welt ›wie unsere eigene und doch anders; sie existiert parallel zu unserer, berührt diese aber niemals‹.«
    »›Manche nennen sie die Welt der Träume, und doch ist sie so real wie alles andere …‹«, zitierte Jenny weiter. »Nun, heute Nacht hat sie unsere Welt jedenfalls berührt. – Was ist denn los, Audrey?«
    »Mir ist gerade etwas in den Sinn gekommen. Wisst ihr, in der nordischen und germanischen Mythologie ist die Rede von neun Welten – unsere Welt ist einfach die in der Mitte.«
    »Neun?«, wiederholte Jenny.
    »Neun. Da ist Asgard, eine Art Himmel, und Hel, eine Art Hölle, und es gibt eine Welt aus urtümlichem Feuer und eine aus urtümlichem Wasser und noch eine aus urtümlichem Wind – aber hört zu. Es gibt auch eine Welt aus urtümlichem Eis und Schatten, die irgendwie mit Hel verbunden ist. Sie heißt Niflheim, und nifl bedeutet ›dunkel, eisig‹.«
    »Worauf willst du hinaus?«, hakte Dee nach.
    »Keine Ahnung. Es ist einfach seltsam, oder?«, antwortete Audrey. »Außerdem, du liebe Güte, fange ich langsam an, auf Deutsch zu denken. Aber es ist merkwürdig, nicht wahr – wenn man bedenkt, dass er sich selbst als den Mann der Schatten bezeichnet? Und mir ist gerade noch
etwas eingefallen. All das, was in Niflheim lebt, ist angeblich schrecklich zerstörerisch, sodass es unter dem Bann einer Rune steht und somit nicht aus der Schattenwelt heraus und in eine andere hineingelangen kann. Ich erinnere mich aber nicht, welche Rune das war.«
    »Du willst doch wohl nicht etwa behaupten, dass es Runen in Wirklichkeit gibt«, wandte Jenny ein. »Ich meine, wie die Rune, von der Julian gesprochen hat – die, die ›den Schleier zwischen den Welten durchdrungen‹ hat. Das kann doch gar nicht wirklich funktionieren.«
    »Ich habe auch immer gedacht, dass das alles nur ein dummer Aberglaube wäre. Aber jetzt … ich weiß es nicht. In der Mythologie funktionieren Runen sehr gut, um

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