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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Stimmungen umgehen sollte. »Hier, ich habe etwas für dich, um es wiedergutzumachen.«

    Unwillig drehte Jenny sich wieder um. Er hielt eine Rose in der Hand – ein weiße Rose. Vielleicht war sie auch silbern  – in diesem Licht konnte man das schwer erkennen. Es war das Schönste, was sie je gesehen hatte.
    Als sie die Rose entgegennahm, bemerkte Jenny, dass sie nicht echt war, sondern vorzüglich gearbeitet, perfekt bis in das winzigste Detail. Halb geöffnet, schimmerte die Blüte in ihren Händen. Die Blütenblätter waren kühl, aber weich.
    »Aus Silber gefertigt, das die dunklen Elfen aus den tiefsten Minen der Erde fördern«, erklärte Julian. Jenny schüttelte den Kopf.
    »Das ist doch alles … Folklore. Willst du etwa behaupten, du seist wirklich der Erlkönig? Willst du, dass ich auch an Hänsel und Gretel glaube?«
    »Ich bin bereits viel mehr gewesen, als du dir vorstellen kannst. Und ich möchte, dass du daran glaubst, dass Kinder an dunkle Orte gehen und verschwinden können. Danach erzählen die Leute dann vielleicht Geschichten, um es zu erklären – manchmal sind diese Geschichten wahr, manchmal nicht.«
    Erneut fühlte sich Jenny verwirrt. »Wie auch immer – die Rose ist wunderschön«, sagte sie und strich sich damit über die Wange.
    Julians Augen glänzten.
    »Lass uns in den Innenhof gehen«, schlug er vor. »Von dort kannst du das Mondlicht noch besser sehen.«
    Die Felsendecke des Innenhofs zeigte eine ganze Reihe
von natürlichen Öffnungen, durch die das Mondlicht herabflutete. Jenny blickte beinah ehrfürchtig um sich, so berauschend war die Umgebung. Das Mondlicht warf einen magischen Schimmer über alles und die Höhle war auf unheimliche Weise wunderschön mit ihren dunklen Schatten und den hellen Silberseen.
    Ebenso wie Julian. Jeder Schatten auf seinem Gesicht war tiefschwarz und in seinen Augen funkelten silberne Punkte.
    »Hast du dich je gefragt, warum du an gefährliche Orte gehen kannst, ohne dass dir etwas zustößt?«, fragte er abrupt. »Warum die verirrten Tiere, die du aufnimmst, dich niemals beißen, warum du nicht ausgeraubt wirst – oder Schlimmeres –, wenn du abends durch üble Stadtteile wanderst?«
    »Ich …« Schon oft war Jenny auf genau diese Dinge angesprochen worden, von denen er redete. Sie selbst hatte nie viel darüber nachgedacht, aber jetzt stieg ein wilder Verdacht in ihr auf. »Nein«, sagte sie. »Nein, das habe ich mich noch nie gefragt.«
    Er ließ sie nicht aus den Augen. »Ich habe auf dich aufgepasst, Jenny. Über dich gewacht. Niemand kann dich berühren … niemand außer mir.«
    »Das ist unmöglich.« Es war nur ein Flüstern. »Du … all das habe ich schon mein Leben lang getan …«
    »Und deshalb kann ich nicht schon ebenso lange über dich gewacht haben? Aber ich habe es getan. Ich habe dich immer geliebt, Jenny.«

    Die Macht seines Blickes war furchteinflößend. Jenny war über ihre eigenen Gefühle verwirrt. Sie wusste, dass sie eigentlich nur Hass, nur Zorn auf ihn verspüren sollte – aber inzwischen musste sie sich eingestehen, dass ein Teil von ihr fasziniert war. Er war ein Prinz der Dunkelheit …
    … der sie erwählt hatte.
    Sie drehte sich um, ging von ihm weg und versuchte, sich zu sammeln.
    »Ich war noch nie zuvor verliebt«, fuhr Julian fort. »Du bist meine erste Liebe – und du wirst meine einzige bleiben.«
    Da war Musik in seiner Stimme und seine Worte schwebten wie filigrane Schneeflocken um sie herum nieder und hüllten sie in die Atmosphäre dieser Anderen Welt.
    Jenny drehte sich wieder um und er berührte sie.
    Seine Berührung war so zart wie ein Hauch auf ihrer Wange. Jenny war so überrascht, dass sie sich nicht rührte. Dann senkte sie verschämt den Blick. Er hatte ihre Hand ergriffen.
    Aber ich dachte, du kannst nicht …
    Seine Fingerspitzen waren so kühl wie Jade auf ihrer Haut. Ein Kribbeln durchlief sie. Sie verspürte den Drang, ihre Wange an seine offene Hand zu schmiegen.
    Tu es nicht, dachte sie. Tu es nicht, tu es nicht, tu es nicht …
    »Tu es nicht«, flüsterte sie.
    Er fuhr fort, ihre Hand zu streicheln, und bewegte seinen Daumen sanft über ihre Innenfläche. Ein sinnliches
Gefühl. Ein gefährliches Gefühl. Jenny spürte, wie sie dahinfloss.
    Seine Berührung war so zart – er hatte ihre Hand so sanft von der Rose gelöst …
    Von der Rose, dachte Jenny.
    Sein Geschenk. Sie hatte sie in der Hand gehalten. Sie hatte damit über ihre rechte Wange gestrichen –

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