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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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angetan. Es war ihre eigene Angst. Sie konnte sich ihrem Albtraum nicht stellen.«
    Jenny wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm zu streiten, aber sie konnte nicht anders. Mit leiser, wilder Stimme fuhr sie fort: »Es war nicht fair.«
    Er schüttelte den Kopf und wirkte beinahe erheitert. »Das Leben ist nicht fair, Jenny. Hast du das noch nicht begriffen?«
    Jenny tobte weiter. »Was gibt dir das Recht, so mit uns zu spielen? Wie kannst du das rechtfertigen ?«
    »Ich brauche kein Recht. Hör mir zu, Jenny. Die Welten  – alle neun – sind grausam. Sie interessieren sich nicht im Mindesten für dich oder für das Recht. Es gibt keine ultimative Güte. Es herrscht das Gesetz der Wildnis. Du brauchst kein Recht – wenn du Macht hast.«
    »Das glaube ich dir nicht«, wandte Jenny ein.
    »Dass die Welt grausam ist?« Auf der Garagenbank lag eine Zeitung; er ergriff sie. »Wirf nur einen Blick darauf, und dann sag mir, dass das Böse verliert und das Gute gewinnt. Sag mir, dass in deiner Welt nicht das Gesetz der Wildnis herrscht.«
    Jenny wollte sich die Schlagzeilen nicht ansehen. Sie hatte schon viel zu viele davon in ihrem Leben gesehen.
    »Die Realität«, sagte Julian und ließ ein Lächeln aufblitzen, »hat Zähne und Klauen. Wärst du da nicht auch lieber einer der Jäger als einer der Gejagten?«

    Jenny schüttelte den Kopf. Sie musste zugeben, dass er die Wahrheit sagte – zumindest was diese Welt betraf. Sie fühlte Übelkeit in sich aufsteigen.
    »Du hast die Wahl«, fuhr Julian fort. Seine Züge hatten sich verhärtet. »Ich habe es dir schon einmal gesagt: Wenn ich dich nicht überreden kann, werde ich dich zwingen – irgendwie. Wenn du nicht einwilligst, werde ich dir zeigen müssen, was ich damit meine. Ich bin es leid zu spielen, Jenny. Ich will, dass diese Angelegenheit geregelt wird – auf die eine oder andere Weise.«
    »Sie ist geregelt«, gab Jenny zurück. »Ich werde niemals zu dir kommen. Ich hasse dich.«
    Zorn loderte in Julians Augen auf wie eine blaue Flamme. »Verstehst du denn nicht«, sagte er, »dass das, was Summer zugestoßen ist, auch dir zustoßen kann?«
    Eine Welle der Kälte schlug über Jenny zusammen. »Doch«, erwiderte sie langsam. »Ich verstehe es.«
    Und sie verstand es tatsächlich. Bis jetzt hatte sie es nicht geglaubt. Sie hatte einfach nicht geglaubt, dass Julian dazu fähig wäre oder dass sie, Jenny, so verletzbar sein könnte. Der Tod war etwas für alte Leute, nicht für junge in ihrem Alter. Schlimme Dinge – wirklich schlimme Dinge – stießen guten Menschen nicht einfach so zu.
    Aber sie taten es doch.
    Und jetzt war es endlich bei ihr angekommen. In ihrem Herzen. Schlimme Dinge, die allerschlimmsten, stießen manchmal genau den Menschen zu, die es überhaupt nicht verdient hatten. Selbst Summer. Selbst ihr.

    Jenny hatte das Gefühl, als habe sie ein Geheimnis erfahren, als sei sie in einen weltweiten Club oder eine riesige Gemeinschaft aufgenommen worden. In die Gemeinschaft des Schmerzes.
    Jetzt gehörte sie zu den Menschen, die Bescheid wussten. Seltsamerweise war das ein tröstliches Gefühl – zu wissen, dass es so viele andere Menschen gab, so viele, deren Freunde gestorben waren oder die ihre Eltern verloren hatten oder denen andere schreckliche Dinge widerfahren waren.
    Es gibt so viele von uns, dachte sie. Ohne es zu merken, hatte sie zu weinen begonnen. Wir sind überall. Und wir werden nicht alle zu Jägern und lassen unser Leid an anderen Menschen aus. Nicht alle.
    Zum Beispiel Aba. Plötzlich erinnerte sich Jenny daran, dass Dees Großmutter ihren Mann bei Rassenunruhen verloren hatte. Und dann kam ihr etwas in den Sinn, das Aba auf ihren Badezimmerspiegel geklebt hatte und das auf den ersten Blick so fehl am Platz wirkte, inmitten all des Glases, des Marmors, der goldenen Armaturen. Es war ein handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift:
    Tu nichts Böses.
Hilf, wenn du kannst.
Vergelte Böses mit Gutem.
    Jenny hatte Aba nie nach dem Schild gefragt. Es war nicht nötig gewesen, es zu erklären.

    Jetzt spürte sie, dass die Gemeinschaft des Schmerzes sie von überall her stärkte. Als sprächen die anderen ihr stummes Mitgefühl aus. Schlimme Dinge – die allerschlimmsten  – konnten Jenny widerfahren. Das verstand Jenny jetzt.
    Laut sagte sie: »Du hast recht. Vielleicht steht es wirklich so schlecht. Aber das bedeutet nicht, dass ich nachgeben muss. Ich werde nicht freiwillig mit dir gehen, daher kannst du genauso gut

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