Die Gejagte
rückte nicht von ihm weg.
»Du bist meine Cousine zweiten Grades«, sagte er. Das stimmte, obwohl Jenny selten darüber nachdachte – ihre
beiden Mütter waren nur Halbschwestern. »Und außerdem kann ich einfach nichts dagegen machen. Ich komme nicht dagegen an.« Seine Küsse wurden heftiger, drängender.
Sein Verlangen stürzte Jenny in einen Rausch der Gefühle. Aber da ist noch etwas anderes, schoss es ihr immer und immer wieder durch den Kopf – ohne dass sie sich daran erinnern konnte, was dieses Etwas war. Plötzlich schlug eine Schockwelle über ihr zusammen. »Aber Tom …«, flüsterte sie.
Sie hatte nicht mehr an Tom gedacht, seit … seit …
Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal an ihn gedacht hatte.
Zach sagte nur, dass er Tom auch nicht helfen könne.
»Er verdient dich nicht.« Die Worte drangen auf einer Welle heißen Atems in ihr Ohr. »Er liebt dich nicht genug. Ich hatte immer Angst, es auszusprechen, aber du weißt, dass es wahr ist.«
Trotz seiner schlanken Statur spürte sie Zachs harte Muskeln an ihrem Körper. Jenny versuchte zu protestieren, aber die Worte wollten nicht über ihre Lippen kommen.
»Und jetzt weiß ich, dass du ihn auch nicht genug liebst. Du bist nicht für ihn bestimmt.« Zachs Stimme war sanft und vernünftig, seine Worte bildeten einen samtenen Klang.
Dann blickte er auf sie herab. Sein leidenschaftliches Gesicht schien von einem hellen Licht erleuchtet zu sein. Seine wintergrauen Augen sahen fast hellblau aus.
»Du kannst gegen so etwas nicht ankämpfen, Jenny«, flüsterte er. »Du weißt, dass du es nicht kannst.«
Jenny schloss die Augen und wandte ihm das Gesicht zu.
Er küsste sie und ihre Sinne wirbelten wild durcheinander.
Sie schienen miteinander zu verschmelzen. Jenny spürte, wie sie in seiner Umarmung versank. So sanft … Noch nie zuvor hatte sie einen Kuss so sanft empfunden. Sie konnte nicht länger denken. Sie floss dahin. Wie tief unter Wasser.
Pures Gefühl überwältigte sie. Sie erwiderte seinen Kuss so wie sie Tom noch nie geküsst hatte. Sie spürte sein loses Haar unter ihren Fingern, der Pferdeschwanz musste sich gelöst haben. Sie wollte alles von diesem Haar spüren. Es war so viel weicher, als ihr bewusst gewesen war. Sie hatte immer gedacht, dass Zach ziemlich grobes Haar hätte, aber es war so weich … wie Seide oder das Fell einer Katze …
Sie hörte den wilden, wimmernden Laut, den sie von sich gab, und sie wusste es – sie wusste es – sie wusste es, noch während sie sich zurückzog. Noch während sie von ihm abrückte, wusste sie es.
Julians Augen waren wie flüssige Saphire unter den schweren Lidern. Dunkel vor Leidenschaft unter rußschwarzen Wimpern. Er trug ein kariertes Flanellhemd wie Zach, stone-washed Jeans wie Zach und Laufschuhe wie Zach. Aber da war diese träge, achtlose Anmut, die Zach niemals haben würde. Sein Haar schimmerte im Licht so hell wie Sand.
Jenny rieb sich mit dem Handrücken über den Mund.
Eine ebenso instinktive wie sinnlose Geste. Sie war zu schockiert, um wütend zu sein.
Habe ich es gewusst? Habe ich es tief in meinem Innern schon gewusst, bevor er mich geküsst hat, habe ich es gewusst, während er mich geküsst hat, habe ich es schon gewusst, bevor ich mich von ihm gelöst habe, könnte ich es gewusst haben …?
Sie wusste keine Antwort.
»Wie konntest du …?«, flüsterte sie. »Du hast dich wie Zach benommen – du hast Dinge gewusst, die nur er wissen kann …«
»Ich habe ihn beobachtet«, antwortete Julian. »Ich habe dich beobachtet. Ich bin der Schattenmann, Jenny – und ich liebe dich.« Seine Stimme war sanft, hypnotisierend, und ihr bloßer Klang brachte irgendetwas in Jenny zum Schmelzen.
Dann dachte sie an Summer.
Wut wallte in ihr auf, heiß und glühend, und verlieh ihr neue Kraft. Sie sah in Julians glänzend blaue Augen. Und jegliches sanfte Gefühl, das sie eben noch für ihn empfunden hatte, löste sich in Luft auf. Sie hasste ihn. Ohne ein Wort drehte sie sich um und verließ die Dunkelkammer.
Er folgte ihr und knipste die Garagenlampen an. Natürlich kannte er ihre Gedanken.
»Sie hat zugestimmt«, sagte er. »Genau wie alle anderen hat auch sie zugestimmt, das Spiel zu spielen.«
»Sie wusste nicht, dass es echt war!«
Er zitierte aus den Regeln. »›Ich schwöre, dass ich verstanden habe, dass dieses Spiel real ist …‹«
»Du kannst reden, so viel du willst, Julian – aber du hast sie getötet.«
»Ich habe ihr nichts
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