Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
würde!« Er hatte lange über diese Anregung nachgedacht und sie schließlich aus einem spontanen Impuls heraus eingestellt …
Henriette Plissonnier, eine hagere, vornehm auftretende Witwe, die wie keine Zweite einen Stoff zu drapieren oder mit zwei Strohhalmen, einem Stück Satin und einer Keramik ein dekoratives Arrangement zu schaffen vermochte. Hat die Frau Klasse!, hatte er gedacht, als sie sich auf seine Stellenanzeige hin bei ihm vorgestellt hatte. Sie hatte gerade ihren Mann verloren und zog ihre beiden kleinen Töchter alleine groß. Sie hatte keinerlei Erfahrung, »lediglich eine ausgezeichnete Erziehung und einen angeborenen Sinn für Eleganz, Farben
und Formen«, hatte sie gesagt und ihn dabei von Kopf bis Fuß gemustert. »Soll ich es Ihnen beweisen, Monsieur?«, und noch bevor er etwas erwidern konnte, hatte sie schon zwei Vasen verrückt, einen Teppich entrollt, einen Vorhang gerafft und drei Kleinigkeiten auf seinem Schreibtisch verschoben, der mit einem Mal einer Einrichtungszeitschrift entsprungen zu sein schien. Dann hatte sie sich wieder hingesetzt und zufrieden gelächelt. Er hatte sie zunächst für den Bereich Accessoires eingestellt und sie später zur Dekorateurin befördert. Sie dekorierte seine Schaufenster, rückte das Angebot des Monats – Champagnergläser, Küchenhandschuhe, Schürzen, Lampen, Lampenschirme, Windlichter – ins rechte Licht, war an der Auswahl der Artikel beteiligt, entwickelte die »Farbe der Saison«, Blau, Blassgelb, Weiß, Gold … Und schließlich hatte er sich in diese Frau verliebt, die eine Welt verkörperte, die für ihn unerreichbar war.
Beim ersten Kuss glaubte er einen Stern zu berühren.
In ihrer ersten gemeinsamen Nacht hatte er sie mit einer Sofortbildkamera fotografiert, während sie schlief, und das Bild in sein Portemonnaie gesteckt. Sie hatte es niemals erfahren. An ihrem ersten gemeinsamen Wochenende war er mit ihr nach Deauville ins Hotel Normandy gefahren. Sie hatte sich geweigert, das Zimmer zu verlassen. Er hatte das für Schamhaftigkeit gehalten, schließlich waren sie noch nicht verheiratet, erst später begriff er, dass sie sich geschämt hatte, mit ihm gesehen zu werden.
Er hatte sie gebeten, ihn zu heiraten. »Darüber muss ich erst nachdenken«, hatte sie geantwortet, »ich bin nicht allein, wie Sie wissen, ich habe zwei kleine Töchter.« Sie beharrte darauf, ihn zu siezen. Sechs Monate hatte sie ihn warten lassen, ohne auch nur mit einem Wort auf seinen Antrag anzuspielen. Es hatte ihn verrückt gemacht. Doch eines Tages hatte sie aus heiterem Himmel gesagt: »Erinnern Sie sich an den Vorschlag, den Sie mir gemacht haben? Wenn er immer noch gilt, lautet meine Antwort Ja.«
In dreißig Jahren Ehe hatte er sie nie zu seinen Eltern mitgenommen. Ein einziges Mal waren sie gemeinsam essen gegangen. Beim Verlassen des Restaurants – sie zog gerade ihre Handschuhe an und sah sich suchend nach dem Wagen mit Chauffeur um, den er ihr zur Verfügung gestellt hatte – hatte sie lediglich gesagt: »Sie können diese
Leute gern wiedersehen, wenn Sie mögen, aber in Zukunft ohne mich. Ich glaube nicht, dass ich diese Beziehung vertiefen möchte …«
Sie war es, die ihm den Namen Chef gegeben hatte. Sie fand Marcel gewöhnlich. Und mittlerweile nannte ihn jeder Chef. Bis auf Josiane.
Für alle anderen war er Chef. Chef, der die Schecks unterschrieb. Chef, dem man den Platz am Kopfende des Tisches zuwies, wenn Gäste zum Essen kamen. Chef, dem man ins Wort fiel, wenn er redete. Chef, der allein in einem winzigen Zimmer, in einem winzigen Bett, in einem Winkel der riesigen Wohnung schlief.
Dabei war er gewarnt worden. »Mit der Frau machst du einen gewaltigen Fehler«, hatte René, sein Lagerverwalter und Freund, mit dem er nach Feierabend gerne noch etwas trank, gesagt. »Die hat Haare auf den Zähnen!« Er hatte zugeben müssen, dass René recht hatte. »Sie lässt mich nur alle Jubeljahre mal ran. Und du glaubst nicht, was ich alles anstellen muss, damit sie sich zu meinem Willi runterbeugt. Der arme Kerl ist schon völlig ausgehungert! Ich muss sie ordentlich festhalten und ihr den Nacken runterdrücken. Wie oft ich bei der Frau nicht zum Zug komme! Und Willi hängt die meiste Zeit auf Halbmast. Glaubst du, die würde mal Hand anlegen oder mir einen blasen? Kommt überhaupt nicht in die Tüte. Dafür ist sie sich zu fein.«
»Dann schick sie doch zum Teufel«, hatte René erwidert. Doch Chef zögerte: Henriette war seine
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