Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
rollte sich Iris auf dem Sofa zusammen.
Sie ließ den Blick durch ihr Refugium schweifen, als suchte sie nach Argumenten, die ihr bei der Entscheidung zwischen schnellem Rückzug oder beiläufigem Verzeihen helfen würden. Denn, dachte sie, während sie die Beine auf dem mit einem Kaschmirschal bedeckten
roten Samtsofa ausstreckte, die Sache ist einfach: Entweder stelle ich Philippe zur Rede, erkläre ihm, dass diese Situation für mich unerträglich ist, nehme meinen Sohn und ergreife mit ihm zusammen die Flucht, oder ich finde mich damit ab, lasse das Ganze über mich ergehen, versuche, meinen Ärger hinunterzuschlucken, und hoffe, dass diese unappetitliche Angelegenheit nicht zu hohe Wellen schlägt. Wenn ich gehe, gebe ich den Giftschleudern recht, ich setze Alexandre einem Skandal aus und schade Philippes Geschäften … und dadurch auch mir selbst. Außerdem werde ich dann zum Gegenstand ihres kranken, gehässigen Mitleids.
Und wenn ich bleibe …
Wenn ich bleibe, erhalte ich einen Irrtum aufrecht, der schon lange andauert. Ich bewahre mir ein sorgenfreies Leben, in dem ich es mir seit Jahren bequem gemacht habe.
Sie betrachtete den kleinen, eleganten, exquisit eingerichteten Raum mit der hellen Holztäfelung, in den sie sich so gern zurückzog. Der niedrige, dreibeinige Tisch von Leleu mit der runden, transparenten Glasplatte, die Kristallvase von Colotte mit eiförmig geschwungenem Körper und graviertem Papageiendekor, die an dünnen goldenen Ketten hängende Lampe aus Pressglas von Lalique, die beiden kleinen Tischlampen aus Opalglas mit halbgedrehtem spiralförmigem Schliff dekor. Jeder dieser Gegenstände erfüllte sie mit Schönheit, und sie liebte nichts mehr, als sich in ihrem Arbeitszimmer einzuschließen und sie zu betrachten, während sie sich kaum merklich durch den Raum bewegte. Diese Schönheit habe ich durch Philippe kennengelernt, und jetzt kann ich nicht mehr ohne sie leben. Ihr Blick fiel auf ein Foto, das sie und Philippe am Tag ihrer Hochzeit zeigte, sie ganz in Weiß, er im grauen Cut. Sie lächelten in die Kamera. Er hatte liebevoll und schützend einen Arm um ihre Schulter gelegt, und sie lehnte sich vertrauensvoll an ihn, als könne ihr nie wieder ein Leid geschehen. In der oberen linken Ecke des Fotos sah man den Hut ihrer Schwiegermutter: einen großen rosa Lampenschirm mit fuchsien- und malvenfarbenen Tüllschleifen.
»Lachen Sie jetzt schon ganz allein vor sich hin?«, fragte Carmen, die mit einem Tablett hereinkam, auf dem ein Glas Whisky, ein Fläschchen Perrier und ein kleiner Eiskübel standen.
»Meine liebe Carmen … Glaub mir, es ist besser, dass ich lache.«
»Ist es denn so schlimm, dass Sie genauso gut weinen könnten?«
»Wenn ich eine normale Frau wäre schon … Carmencita.«
»Aber Sie sind keine normale Frau…«
Iris seufzte.
»Lass mich allein, Carmencita …«
»Soll ich für heute Abend den Tisch decken? Ich habe Gazpacho, Salat und Hühnchen nach baskischer Art vorbereitet. Es ist so heiß. Sie werden bestimmt keinen Hunger haben … Ich habe keinen Nachtisch vorgesehen, etwas Obst vielleicht?«
Iris nickte und gab ihr mit einem Wink zu verstehen, dass sie sie allein lassen solle.
Dann richtete sie den Blick auf das Gemälde, das Philippe ihr aus Anlass von Alexandres Geburt geschenkt hatte: Die Liebenden von Jules Breton. Bei einer Versteigerung zugunsten der Fondation pour l’enfance war sie bewundernd vor dem Bild stehen geblieben, und Philippe hatte alle anderen Interessenten überboten und es ihr geschenkt. Es zeigte ein Paar inmitten von Feldern. Die Frau legte die Arme um den Nacken des vor ihr knienden Mannes, und er zog sie an sich. Gabor … Gabors Kraft, Gabors schwarzes, dichtes Haar, Gabors strahlend weiße Zähne, Gabors Rücken … Sie hätte dieses Bild um nichts in der Welt jemand anderem überlassen. Unruhig war sie auf ihrem Stuhl hin und her gerutscht, bis sie schließlich Philippes Hand in ihrem Nacken gespürt hatte. Sein sanfter Druck hatte ihr verraten: Keine Sorge, mein Schatz, du wirst dieses Bild bekommen.
Sie gingen häufig zu Auktionen. Sie kauften Bilder, Schmuck, Bücher, Manuskripte und Möbel. Interessante Objekte aufzustöbern, ihren Wert zu erkennen und sie zu ersteigern war ihre gemeinsame Leidenschaft. Das Stillleben mit Blumen von Bram van Velde hatten sie vor zehn Jahren bei Druot gekauft. Der Blumenstrauß von Ślewiński, der Barceló, den sie nach der Ausstellung in der Fondation Maeght erworben
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