Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
jungen, feurigen Liebhaber und König Knete, der springt, wenn ich es will. Ich hätte nur noch die richtigen Fäden zu ziehen brauchen, dann wäre alles festgezurrt gewesen! Ich hatte das feine Leben direkt vor meiner Nase! Ich kann nicht mal mehr klar denken: Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er voller Knetmasse. Bei der Beerdigung der Alten hatte ich eine schwarze Brille auf, und alle dachten, ich platz fast vor Kummer. War mir nur recht!
Die Beerdigung ihrer Mutter …
Josiane war mit dem Zug gefahren, in Culmont-Chalindrey umgestiegen, hatte ein Taxi genommen (fünfunddreißig Euro plus Trinkgeld), war zu Fuß im strömenden Regen durch das Friedhofstor gegangen und hatte dort, wie Bonbons unter ihren Regenschirmen zusammengeklumpt, all die Menschen wiedergefunden, von denen sie sich zwanzig Jahre zuvor spöttisch verabschiedet hatte. Das war’s, Leute, ich bin weg! Mach mir’n schönes Leben in Panama! Ich komm mit ’nem goldenen Arsch zurück oder in der Kiste! War vielleicht nicht so klug, auf die billige Tour zurückzukommen, so ganz ohne Glanz und Gloria oder irgendwelches Getue, um ihnen das Maul zu stopfen! »Du bis mit’m Zug gekommen? Haste kein Auto?« In ihrer Verwandtschaft war ein Auto gleichbedeutend mit internationalem Flair. Das Zeichen dafür, dass man es »geschafft« hatte. Dass man im Elysée-Palast schlief. Dass der Erfolg einem keine ruhige Minute gönnte.
»Nein, ich hab kein Auto, in Paris geht man zu Fuß, das ist schick.«
»Aha …«, hatten sie erwidert, hatten die Nasen tief in ihre schwarzen Kragen gesteckt und hämisch vor sich hin gemurmelt: »Kein Auto, kein Auto. Doch nix geworden aus der Schlampe!«
Sie war abrupt aus der Gruppe ausgeschert und an das Loch getreten, in das man die kleine Urne hinabgelassen hatte. Schleusen auf! Und los. Alles war vor ihren Augen verschwommen, und der Waschkübel hatte sich wieder gefüllt: Marcel, Maman, Chaval, keiner mehr, ich bin ganz allein, verlassen, ohne Kohle, ohne Zukunft, ich bin am Ende. Ich bin acht Jahre alt und warte darauf, dass die Ohrfeige trifft. Ich bin acht Jahre alt, mir geht der Arsch auf Grundeis, und ich zittere vor Angst. Ich bin acht Jahre alt, und der Großvater kommt ganz leise in mein Zimmer, wenn die anderen schlafen. Oder so tun, als würden sie schlafen, weil das allen am besten in den Kram passt.
Sie weinte nicht um ihre Mutter, sondern um sich selbst. Sie war garantiert eines Abends im Suff gezeugt worden, hatte immer allein zurechtkommen müssen und hatte niemals eine echte Kindheit gehabt. Wegen der Frau, die jetzt drei Meter unter der Erde kalt wurde und sich einen Dreck darum scherte, ob sie vergewaltigt und ausgenutzt wurde oder einfach nur unglücklich war. Scheiß drauf! Wenn ich irgendwann genug Kohle hab, leg ich mich bei ’nem Seelenklempner auf die Couch und erzähl ihm von meinen Alten! Werden ja sehen, was er dazu sagt.
Nach der Rückkehr vom Friedhof hatte es das übliche Gelage gegeben. Literweise Rotwein, dazu Würste und Rillettes, Pizza und Pasteten, Caprice des Dieux und alle möglichen Sorten Chips. Alle drängten sich um sie, glotzten neugierig, fragten sie aus. »Alles klar bei dir? Wie isses denn so in Paris?«
»Superklasse«, sagte sie und hielt ihnen den mit Rubinen besetzten Diamanten unter die Nase, den Marcel ihr geschenkt hatte. Reckte den Hals, damit sie neidische Blicke auf das Collier aus einunddreißig Südseezuchtperlen mit diamantbesetzter Platinkugelschließe werfen konnten. Streckte ihn, reckte ihn immer länger, wie eine Giraffe, damit sie endlich Ruhe gaben.
»Und was arbeitest du? Bezahlen sie gut? Behandelt dein Chef dich anständig?«
»Noch besser wär nicht mehr auszuhalten«, antwortete sie und biss die Zähne zusammen, damit der Waschkübel nicht wieder überlief. Alle kamen sie, einer nach dem anderen, und immer wieder die gleichen Fragen, die gleichen Antworten, die gleichen staunenden Münder, die vom Ausmaß ihres Erfolgs zeugten. Sie geiferten vor Staunen und gossen sich Wein nach. Verdammt!, sagten sie, hier kriegt man ohne Beziehungen nicht mal ’nen Job als Kassiererin im Supermarkt! Hier gibt’s keine Arbeit! Man fragt sich, wo das Leben hin ist … »Zu meiner Zeit«, sagten die Alten, »fing man mit dreizehn an zu arbeiten, egal wo, egal was, aber es gab Arbeit, heutzutage gibt’s nichts mehr.« Und sie schenkten sich noch einmal nach. Bald wären sie blau wie die Veilchen und würden anfangen, schweinische Lieder zu singen. Sie
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