Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Dinosauriern verwandt sind. Jeden Morgen, wenn die Aufgaben verteilt und der Tagesablauf festgelegt waren, machte er sich mit Mister Lee zu ihrer Runde auf, bei der sie sich vergewisserten, dass alles ihren Planungen und Prognosen entsprechend funktionierte. Im Moment verschlang er Bücher über das Verhalten von Krokodilen, um den Ertrag und die Reproduktionsrate zu erhöhen.
»Sie sind nicht aggressiv, weil ihnen das Spaß macht«, erklärte er Mylène, die den Reptilien misstrauisch gegenüberstand. »Ihr Verhalten ist rein instinktgesteuert: Sie eliminieren die Schwächsten und säubern wie gewissenhafte Müllmänner die Natur. Sie sind regelrechte Staubsauger, die die Flüsse von Unrat befreien.«
»Ja, aber wenn sie dich erwischen, können sie dich in null Komma nichts zerfleischen. Sie sind die gefährlichsten Tiere der Welt!«
»Sie sind sehr berechenbar. Man weiß genau, wie und warum sie angreifen: Wenn man sich im Wasser hektisch bewegt, halten die Krokodile einen für ein in Not geratenes Tier und stürzen sich auf einen. Aber wenn man ganz langsam durchs Wasser gleitet, rühren sie sich nicht. Willst du es nicht mal versuchen?«
Sie war vor Schreck zusammengezuckt, und Antoine hatte laut gelacht.
»Pong hat es mir gezeigt: Vor ein paar Tagen hat er sich ganz reglos und ohne das Wasser aufzuwirbeln an einem Krokodil vorbeitreiben lassen, und es hat ihm nichts getan.«
»Das glaube ich nicht.«
»Doch, ich schwöre es dir! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Weißt du, Antoine … nachts stehe ich manchmal auf, um sie zu beobachten, und dann sehe ich im Dunkeln ihre Augen … Sie sehen aus wie Taschenlampen dicht über dem Wasser. Oder kleine Glühwürmchen, die auf der Wasseroberfläche treiben … Schlafen sie denn nie?«
Er lachte über ihre Naivität, ihre kindliche Neugier, und zog sie an sich. Es tat ihm gut, Mylène hier bei sich zu haben. Sie hatte sich noch nicht ganz an das Leben auf der Farm gewöhnt, aber sie war guten Willens. »Ich könnte ihnen vielleicht Französisch beibringen … oder lesen und schreiben«, sagte sie zu Antoine, wenn er sie zu den Hütten der Arbeiter mitnahm. Sie wechselte ein paar Worte mit den Frauen, lobte die Sauberkeit in ihren Räumen, nahm die ersten im Croco Park geborenen Babys auf den Arm und wiegte sie. »Ich würde mich gern nützlich machen, weißt du … Wie Meryl Streep in Jenseits von Afrika , erinnerst du dich an den Film? Sie war so schön … Ich könnte eine Krankenstation eröffnen, genau wie sie. Ich habe in der Schule einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht … Ich könnte lernen, wie man Wunden desinfiziert und näht. Wenigstens hätte ich dann eine Beschäftigung … Oder ich könnte die Touristengruppen führen, die den Park besuchen …«
»Die Touristen kommen nicht mehr, es gab zu viele Unfälle! Den Reiseveranstaltern ist das Risiko zu groß …«
»Schade … Ich hätte einen kleinen Souvenirshop eröffnen können. Das hätte etwas Geld eingebracht…«
Sie hatte versucht, in der Krankenstation zu arbeiten. Doch das war nicht gerade ein Erfolg gewesen. Nachdem sie in weißer Jeans und einem transparenten weißen Spitzentop dort angefangen hatte, waren die Arbeiter von allen Seiten herbeigeströmt, um ihr ein kleines Wehwehchen zu zeigen, dass sie sich absichtlich selbst zugefügt hatten, um von ihr abgetastet, verbunden oder abgehorcht zu werden.
Sie hatte ihr Projekt wieder aufgeben müssen.
Manchmal nahm Antoine sie in seinem Jeep mit. Als sie eines Tages zu zweit über das Gelände der Farm fuhren, hatten sie ein Krokodil gesehen, das ein mindestens zweihundert Kilo schweres Gnu zerfleischte. Das Krokodil wälzte sich hin und her, drehte sich immer wieder um die eigene Achse und zog seine Beute mit in die von den Arbeitern sogenannte »Todesrolle«. Mylène hatte vor Entsetzen laut geschrien und zog es seitdem vor, im Haus zu bleiben und dort auf ihn zu warten. Antoine hatte ihr erklärt, dass sie von diesem Krokodil nichts mehr zu befürchten habe: Nach einem solchen Mahl brauche es monatelang keine neue Nahrung mehr.
Das war das größte Problem, mit dem sich Antoine konfrontiert sah: die Krokodile in Gefangenschaft zu ernähren. Zwar erstreckten sich die Flussarme, in denen die Krokodile gehalten wurden, auch ins Landesinnere, wo es reiche Wildvorkommen gab, aber die Tiere waren vorsichtig geworden und kamen nicht mehr ans Wasser, sondern zogen weiter flussaufwärts, um ihren Durst zu stillen. Die Krokodile
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