Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
waren zunehmend von dem Futter abhängig, das die Farmarbeiter ihnen gaben. Mister Lee war gezwungen gewesen, eine »Fütterungsrunde« zu organisieren, welche darin bestand, dass Arbeiter an den Ufern entlanggingen und an einer Schnur eine Reihe toter Hühner durch das Wasser zogen. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, zogen sie die Schnüre mit einem kräftigen Ruck aus dem Wasser, griffen sich ein Huhn und verschlangen es selbst. Sie nagten alles fein säuberlich ab, vertilgten das Fleisch, spuckten die Knochen aus und machten sich wieder an ihre Runde.
Daher mussten immer mehr Hühner gezüchtet werden.
Ich muss mir unbedingt etwas einfallen lassen, um die wilden Tiere zurück ans Wasser zu locken, sonst habe ich ein ernstes Problem. Die Krokodile können sich nicht nur von dem ernähren, was die Menschen ihnen geben, sonst hören sie irgendwann auf zu jagen, bewegen sich nicht mehr und verlieren ihre ganze Vitalität. Sie werden so faul, dass sie nicht einmal mehr Lust haben werden, sich fortzupflanzen.
Darüber hinaus bereitete ihm das zahlenmäßige Verhältnis von männlichen und weiblichen Tieren Sorgen. Ihm war aufgefallen, dass es womöglich zu viele Männchen für zu wenige Weibchen gab. Mit
bloßem Auge war das Geschlecht eines Krokodils kaum zu erkennen. Man hätte sie gleich nach ihrer Ankunft betäuben und entsprechend kennzeichnen sollen, doch das war nicht geschehen. Vielleicht würde er eines Tages eine umfangreiche Geschlechtsbestimmung aller Tiere in Angriff nehmen müssen.
Im Landesinneren gab es noch weitere Krokodilfarmen. Deren Besitzer standen nicht vor den gleichen Problemen. Ihre Reservate waren im ursprünglichen Zustand belassen worden, und die Krokodile ernährten sich selbst, indem sie die Wildtiere zermalmten, die sich zu nah ans Wasser heranwagten. Er traf die anderen Züchter im Crocodile Café in Mombasa, der nächstgelegenen Stadt. Sie tauschten die letzten Neuigkeiten aus und unterhielten sich über die aktuellen Preise für Fleisch und Leder. Antoine lauschte den Gesprächen dieser alten, von Afrika, der Erfahrung und der Sonne gegerbten Züchter. »Diese Tiere sind sehr intelligent, Tonio, erschreckend intelligent, trotz ihres kleinen Gehirns. Wie ein raffiniertes Unterseeboot. Man darf sie nicht unterschätzen. Sie werden uns alle überleben, so viel ist sicher! Sie haben ein gewaltiges Repertoire an Gesten und Lauten, mit denen sie untereinander kommunizieren. Wenn sie im Wasser den Kopf heben, bedeutet das, sie ordnen sich einem anderen unter. Wenn sie den Schwanz krümmen, heißt es, ich hab schlechte Laune, verzieh dich. Sie senden ununterbrochen Signale aus, um zu zeigen, wer der Chef im Ring ist. Ganz wichtig bei ihnen: Wer ist der Stärkste? Genau wie bei den Menschen, stimmt’s? Wie kommst du mit deinem Chef klar? Hält er sich an eure Abmachungen? Bezahlt er pünktlich, oder lässt er dich zappeln und erzählt dir irgendwelche Märchen? Sie versuchen ständig, uns zu verarschen. Hau auf den Tisch, Tonio, hau auf den Tisch! Lass dich nicht einschüchtern oder mit falschen Versprechungen hinhalten. Du musst lernen, dir Respekt zu verschaffen!« Lachend musterten sie ihn. Antoine sah, wie sich ihre Kiefer öffneten und schlossen. Kalter Schweiß lief ihm über den Nacken.
Mit lauter Stimme bestellte er eine Lokalrunde und hob das eiskalte Bier an seine von der Sonne rissig gewordenen Lippen. »Auf euch, Leute! Und auf die Krokodile!« Die Züchter kippten ein Glas nach dem anderen und drehten sich Zigaretten. »Hier gibt’s guten Stoff, Tonio, solltest du auch mal probieren, das versüßt einem die
üblen Abende, wenn einem der Arsch auf Grundeis geht, weil man seinen Umsatz nicht erreicht hat!« Tonio lehnte ab. Er wagte nicht, sie zu fragen, was sie über Mister Wei wussten, wie sein Vorgänger gewesen sei und warum er gegangen war.
»Wenigstens wirst du hier nicht verhungern«, sagten die Züchter lachend. »Du kannst immer noch Krokodilspiegeleier essen, Krokodileieromelette, gefüllte Krokodileier … Nicht zu fassen, wie viele Eier die verdammten Viecher legen!«
Sie musterten ihn mit ihren schmalen, gelben … Krokodilaugen.
Das Schwierigste war, seine Angst vor Mylène zu verbergen, wenn er abends von diesen Ausflügen nach Mombasa zurückkehrte. Sie fragte ihn, was er gesehen, was er gehört hatte. Er spürte, dass sie beruhigt werden wollte. Sie hatte ihm all ihr Erspartes gegeben, um die Reise und ihre Einrichtung zu finanzieren.
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