Die gelehrige Schuelerin
aufmerksam zu wie in den alten Zeiten. »Aus irgendeinem Grund haben Menschen immer Schwierigkeiten, Harmonie über einen längeren Zeitraum hinweg zu akzeptieren. Besonders in einer Zweierbeziehung. Es liegt wohl an unserer grundsätzlichen Unsicherheit, unseren Selbstzweifeln. Alles kann ganz fantastisch laufen, bis man plötzlich, aus heiterem Himmel merkt, dass es schon zwei Tage her ist, dass der eine angerufen hat. Man fragt sich, ob die letzte Bemerkung nur freundliche Ironie oder wirklich ein ernst gemeinter Schlag gewesen sei. Oder es fällt ein Wort, auf das nur ein Schweigen folgt. Das wiederum kann Zustimmung oder Ablehnung bedeuten, aber man weiß es nicht mehr sicher. Derjenige, der gesprochen hat, fühlt sich verunsichert und findet einen Weg, seinen Ärger zu zeigen. Daraufhin wird der andere wütend, und somit hat die Lawine eingesetzt.«
»Klingt vertraut.«
»In uns Menschen steckt eine Zerbrechlichkeit, eine ganz plötzlich auftretende Neigung, alles anzuzweifeln, was eine Minute vorher noch das Schönste auf der Welt gewesen sein kann.«
»Das, was du sagst, passt zu der Beschreibung, die meine Mutter mir oft von ihrer Ehe gegeben hat. Das erste Jahr war wunderschön. Dad war sehr aufmerksam zu ihr. Sie gingen oft aus. Aber, wie sie das immer ausdrückte: ›Bald war die Party zu Ende.‹ Und sie konnte sich überhaupt nicht denken, warum. Er wurde unruhig und verlor die Geduld mit ihr. Sie fand mehrere Möglichkeiten zurückzuschlagen: lausige Mahlzeiten, Nörgeln. Er ging immer öfter allein weg. Sie kämpften, stritten. Ich kann mich an beide eigentlich nur so erinnern, dass sie sich völlig fremd waren.«
»Meine Collegefreundin und ich hatten sogar schon beschlossen zu heiraten. Dann kamen wir aus der Schule und wechselten unsere Umgebung. Das Bild, das sich jeder von der Persönlichkeit des anderen gemacht hatte, verblasste. Es hatte sowieso nur für die beiden existiert.
Dann ging es los. Ich
musste
mehr Zeit mit meinen Studienfreunden verbringen. Sie
musste
sich mehr um ihre Mutter kümmern. Ich ging auf die Fachschule. Sie hatte ihren Job. Ich spielte den Coolen. Sie wurde besitzergreifend. Dann sagte sie, dass sie Schluss machen wolle. Ich bat sie, zu mir zurückzukommen. Wir haben von da an alles falsch gemacht und sind voll in die alte Sache von Streit und Feindseligkeit hineingeschlittert. Und hinterher habe ich so sehr bedauert, wie schlimm das alles geendet hat … Annie, wir müssen über das, was geschieht, miteinander reden.«
»Ich weiß. Ich hatte es nicht gewollt. Ich hatte Angst, dass ich nun alles verlieren würde. Ich wollte einfach nur mit dir zusammen Spaß haben, genauso wie zu Weihnachten. Aber ich weiß, wie wichtig es ist, dass wir darüber reden. Ich war nach dem Konzert wirklich sauer auf dich. Es war auch keine Art, mich so zu behandeln. Ich hätte nicht so wütend auf dich sein sollen, nur weil ich keinen Orgasmus gekriegt hatte. Wir haben uns beide kindisch wie Babys in der Schule verhalten. Gott, was musst du gelitten haben, als ich einfach so eingeschlafen bin, nachdem du versucht hattest, mich so zu nehmen. Und – ich weiß, es ist kindisch –, aber ich fand es ganz schön Scheiße, dass ich immer diejenige sein sollte, die uns wieder zusammenbrachte. Dennoch ist es nicht recht von mir, dir auf alle mögliche Weise mit solcher Feindlichkeit zu begegnen. Ich habe mich für das, was ich getan habe, gehasst.«
Ich holte tief Luft und fragte dann vorsichtig: »Und was war mit dem Sex?«
Annie sah einen Augenblick lang weg, dann wieder zu mir her. »Mir hat es sehr gefallen, als Boris mich in seiner Gewalt hatte. Sogar die Feder war toll. Als ich später noch mal darüber nachgedacht hatte, fand ich, dass ich mir nicht so viel Sorgen darüber zu machen brauchte, wenn ich auch mal ganz hilflos ausgeliefert wäre. Ich habe dann allein darüber fantasiert, dass mir das nochmal passieren würde … Und dann bringt es mir Spaß, wenn Natascha dich kontrolliert.«
»Ehrlich?«
»Ja. Aber es ist eine ganz andere Art von Spaß. Ich muss gestehen, dass ich zu Anfang ein bisschen Angst gekriegt hatte, vor allem, als ich bemerkte, dass du so großes Verlangen danach hattest. Ich hatte dich vorher noch nie so gesehen. Deshalb habe ich manchmal auch Witze darüber gemacht. Ich hatte Angst, dass ich damit nicht fertig werden würde, wenn es Ernst gewesen wäre. Dennoch hatte ich das Gefühl, ich musste es mitmachen, vor allem letzte Nacht, sonst würde ich dich
Weitere Kostenlose Bücher