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Die gelehrige Schuelerin

Die gelehrige Schuelerin

Titel: Die gelehrige Schuelerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ira Miller
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Körper.
    Runde II
    Nachdem wir die zweite Kurve genommen hatten, befanden wir uns wieder auf der Geraden, auf der wir angefangen hatten. Der Wind blies uns nun erneut von vorne an. Ich blinzelte heftig, als mir die Wassertropfen in die Augen fielen. Mein Puls ging jetzt schneller. Ich senkte den Kopf und schnappte nach Luft.
    Die Anstrengung nach der ersten Runde war auch bei Annie zu spüren. Wir fielen in einen langsameren Trott. Ich lächelte. Ihre Nase krauste sich. Es war schön, das Gleiche wie sie zu empfinden.
    Als wir uns dem Ende der zweiten Runde näherten, fühlte ich mich stark wie nie zuvor. Unsere Beine bewegten sich jetzt im Gleichschritt, unser Tempo war perfekt aufeinander abgestimmt. Es war eine Einheit, die da das Feld umkreiste.
    Runde III
    Plötzlich lag ich in Führung.
    War sie zufällig langsamer geworden? Oder hatte ich unbewusst das Tempo verschärft?
    Doch Annie zog wieder an mir vorbei. Sie brachte alle Kraft auf, um eine größere Schrittlänge zu schaffen. Auch ich verschnellerte mein Tempo. Zu Beginn hatte ich keine Lust und auch nicht das Bedürfnis gehabt, sie zu schlagen und zu gewinnen. Aber wenn sie mich so herausforderte, gut, dann nahm ich das an.
    Trotzdem war es lächerlich. Warum musste irgendjemand irgendetwas beweisen? Ich lief wieder langsamer. Annie vergrößerte ihren Vorsprung.
    Eine Sekunde lang wendete sie ihren Kopf und schaute zurück. Ich meinte, ein leises Kichern zu hören, oder war dies etwa ein ausgewachsenes Lachen gewesen? Oder hatte sie vielleicht doch nur den Kopf zur Seite gedreht, um besser Luft holen zu können?
    Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass da vorn eine Schülerin rannte, die den Lehrer herausfordern wollte (Kind gegen Erwachsenen?). Sie war gewachsen, hatte mehr Macht erlangt, und nun hatte sie das Bedürfnis, sie an mir auszuprobieren. Zumindest war es die Herausforderung zu fragen, ob ich immer noch genug Männlichkeit für sie besäße – sonst hätte sie sich verdientermaßen die Siegerkrone aufs Haupt setzen dürfen.
    Ich dachte daran, ihr das Rennen einfach zu überlassen. Sollte sie es doch gewinnen. Aber in mir steckte immer noch ein Teil der Lehrerrolle, ein bisschen Macho.
    Ich konnte sie nicht gewinnen lassen.
    Runde IV
    Ich beschleunigte mein Tempo und aktivierte noch mehr Energie. Der Wind warf mich zurück, aber ich hielt den Kopf hoch und raste vorwärts. Ich hätte einen regelmäßigen Rhythmus laufen müssen, um in Form zu bleiben, aber als ehemaliger Wettschwimmer in der Highschool und eifriger Sportler hatte ich immer noch eine innere Reserve, die ich notfalls jederzeit einsetzen konnte, egal, wie lang die Strecke noch sein würde. Aber schließlich begann auch diese Reserve zu schwinden. Es war schon mehrere Jahre her seit meiner Teenagerzeit.
    Lester, du bist noch kein alter Mann! Bring deinen Hintern endlich in Schwung!
    Ich rannte an Annie vorbei, ohne sie anzusehen. Aber ich stellte mir ihren überraschten Gesichtsausdruck vor.
    Ich musste sie einfach schlagen. Ich musste die Marke am Ende der Strecke, die Startblöcke, von denen aus wir das Rennen begonnen hatten, unbedingt als Erster erreichen.
    Immer noch kräftig. Schweiß brach aus allen Poren, Hitzeschauer jagten durch meinen Körper. Das Klopfen meiner Schuhe auf dem Boden hallte in meinen Ohren wider. Immer schneller. Ich spürte ein Rauschen im Kopf. Aber immer noch fühlte ich mich stark genug.
    Vielleicht wurde ich doch etwas langsamer? Aber jetzt konnte ich auch noch nicht alles rauslassen. Etwas musste für den Endspurt übrig bleiben.
    Der graue, tiefe Himmel, grüne Pinien, brauner Matsch, dunkles Gras, all das verschwamm vor meinen Augen.
    Als ich mich der Kurve näherte, die uns zum Ausgangspunkt brachte, wusste ich, jetzt galt es, jetzt oder nie. Annie lief neben mir. Eine Zeit lang waren wir auf genau gleicher Höhe.
    Ich fand die Kraft, noch schneller zu rennen, und befand mich auch einen Augenblick in Führung. Aber Annie war scharf hinter mir.
    Ich musste sprinten.
    Mich streckend, alle Reserven ausbeutend, keuchte ich nach Luft. Meine Beine fühlten sich an wie dicke Bolzen, die auf den Boden stampften. Es war, als ob alles Fleisch von ihnen abgefallen und nur noch die Knochen übrig geblieben wären. Meine Hacken platschten heftig in den Matsch. Ich musste diese Geschwindigkeit halten.
    Nahe am Ziel sah ich plötzlich ein imaginäres Band, als ob es von einem Schiedsrichter quer über die Bahn gespannt worden wäre. Ich musste da durchrennen.

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