Die Gelehrten der Scheibenwelt
spielten eine entscheidende Rolle gerade weil sie innere Organe hatten und insbesondere weil sie Nahrung aufnehmen und sie ausscheiden konnten. Ihre Exkremente wurden zu einem wesentlichen Nährboden für andere Wesen; um eine auf interessante Art komplizierte Welt zu bekommen, ist es lebensnotwendig, daß Scheiße passiert.
Doch wo kamen alle diese Triploblasten her? Waren sie ein Seitenzweig der Ediacarer? Oder stammten sie von etwas anderem ab, das keine Fossilien hinterlassen hat?
Es ist schwer zu begreifen, wie sie von der Ediacarern hätten abstammen sollen. Ja, eine zusätzliche Gewebsschicht hätte entstehen können, doch zu dieser Schicht braucht man eine Menge Organisation, um sie zu nutzen. Diese Organisation muß irgendwoher kommen. Überdies waren da diese gelegentlichen irritierenden Spuren von etwas, was vielleicht präkambrische Triploblasten waren – Fossilien nicht von Würmern, die die Frage entschieden hätten, sondern von etwas, das vielleicht die Spuren von Würmern in weichem Schlamm sind.
Und vielleicht auch nicht.
Im Februar 1998 fanden wir es heraus.
Die Entdeckung hing davon ab, wo – und in diesem Fall wie – man nach Fossilien sucht. Eine Art, wie sich Fossilien bilden, ist die Versteinerung. Es gibt eine wenig bekannte Art der Versteinerung, die sehr schnell vor sich gehen kann – in ein paar Tagen. Die weichen Teile eines toten Organismus werden durch Kalziumphosphat ersetzt. Zum Pech für die Paläontologen funktioniert dieser Prozeß nur für Wesen, die etwa zweieinhalb Millimeter lang sind. Aber manche interessanten Dinge sind so winzig. Seit 1975 haben Wissenschaftler wunderbar erhaltene Exemplare von winzigen Urzeit-Gliederfüßern gefunden – Wesen wie Hundertfüßler mit vielen Segmenten. 1994 fand man fossilisierte Zellkugeln von Embryonen – frühen Entwicklungsstadien eines Organismus –, und man nimmt an, daß sie von embryonischen Triploblasten stammen. Doch alle diese Wesen müssen nach den Ediacarern gekommen sein. Aber 1998 entdeckten Shuhai Xiao, Yub Zhan und Andrew Knoll fossilisierte Embryonen in chinesischem Gestein, das 570 Millionen Jahre alt ist – mitten im Zeitalter der Ediacarer. Und diese Embryonen waren Triploblasten.
Vierzig Millionen Jahre vor der Kambrischen Explosion gab es Triploblasten auf der Erde, die neben jenen rätselhaften Ediacarern lebten.
Wir sind Triploblasten. Irgendwo im Präkambrium, umgeben von mundlosen, organlosen Ediacarern, wurden wir in unser Erbe eingesetzt.
Das Leben galt als ein verletzliches, äußerst ungewöhnliches Phänomen: schwer zu erschaffen, leicht zu vernichten. Doch wohin wir auch auf der Erde blicken, überall finden wir Lebewesen, oft in Umgebungen, die wir für völlig lebensfeindlich gehalten hätten. Es sieht allmählich so aus, als sei das Leben ein extrem robustes Phänomen, das leicht überall auftauchen kann, wo die Bedingungen auch nur im entferntesten geeignet sind. Wie kommt es, daß das Leben derart ausdauernd ist?
Weiter oben haben wir von zweierlei Arten gesprochen, wie man von der Erde loskommt – Rakete und Weltraumlift. Eine Rakete ist etwas, das verbraucht wird, aber ein Weltraumlift ist ein Prozeß, der andauert. Ein Weltraumlift erfordert eine hohe Anfangs-Investition, doch wenn man ihn erst einmal hat, ist das Hinauf und Hinunter so gut wie kostenlos. Ein funktionierender Weltraumlift scheint allen üblichen Regeln der Ökonomie zu widersprechen, die die einzelnen Transaktionen betrachten und einen vernünftigen Preis festzulegen versuchen, anstatt zu fragen, ob man das Konzept des Preises völlig ausschließen könnte. Er scheint auch dem Energieerhaltungssatz zu widersprechen, demzufolge man, wie die Physiker sagen, nicht etwas für nichts bekommen kann. Doch wie wir gesehen haben, kann man durchaus etwas für nichts bekommen – indem man die neuen Ressourcen nutzt, die man erhält, sobald man nämlich den Weltraumlift gebaut und in Gang gesetzt hat.
Es gibt eine Analogie zwischen Weltraumlifts und dem Leben. Das Leben scheint den üblichen Regeln der Chemie und der Physik zu widersprechen, insbesondere dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, daß Dinge nicht von selbst komplizierter werden können. Das Leben tut das, da es sich wie der Weltraumlift auf ein neues Operationsniveau erhoben hat, wo es Zugang zu Dingen und Prozessen erlangen kann, die vorher nicht in Frage kamen. Insbesondere die Fortpflanzung ist eine wunderbare Methode, um mit den Schwierigkeiten
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