Die Gelehrten der Scheibenwelt
sich habe, ist ein ungelöstes Rätsel, aber als sie genug Intelligenz entwickelt hatten, um Stöcke in eßbare Tiere zu stechen und Feuer zu benutzen, mögen sie wohl nicht zum Nachthimmel aufgeschaut haben, ohne sich zu fragen, wozu er zum Teufel da sei (und in Anbetracht der traditionellen fixen Ideen der Menschheit, ob er irgendwas mit Sex zu tun habe). Der Mond jedenfalls war beeindruckend – groß, hell, und er änderte seine Gestalt.
Wesen, die tiefer auf der Evolutionsleiter standen, haben den Mond zweifellos wahrgenommen. Nehmen wir zum Beispiel die Schildkröte – ein besser zur Scheibenwelt passendes Tier wird man schwerlich finden. Wenn in unserer Zeit Schildkröten auf den Strand kriechen, um ihre Eier zu legen und sie im Sand zu vergraben, richten sie es zeitlich irgendwie so ein, daß, wenn die Jungen schlüpfen, sie zum Meer krabbeln können, indem sie auf den Mond zu halten. Wir wissen das, weil die Lichter moderner Gebäude sie verwirren. Dieses Verhalten ist bemerkenswert, und es genügt durchaus nicht, alles auf den ›Instinkt‹ zu schieben und so zu tun, als sei das eine Antwort. Was ist denn Instinkt? Wie funktioniert er? Wie ist er entstanden? Ein Wissenschaftler möchte plausible Antworten auf solche Fragen, nicht bloß einen Vorwand, unter dem man sie abhaken kann. Es ist anzunehmen, daß die mondsüchtigen Neigungen der kleinen Schildkröten und die unheimliche Genauigkeit, mit der ihre Mütter den richtigen Zeitpunkt finden, sich gemeinsam entwickelt haben. Bei Schildkröten, die rein zufällig ihre Eier zum richtigen Zeitpunkt legten, so daß beim Schlüpfen der Jungen der Mond seewärts vom Strand stand, und deren Junge zufällig auf das helle Licht zusteuerten, erreichten mehr von den nächsten Generation das Meer als bei den anderen. Um aus diesen Tendenzen eine universelle Eigenschaft aller Schildkröten zu machen, bedurfte es nur einer Methode, sie an die nächste Generation weiterzugeben, und da kommen die Gene ins Spiel. Jene Schildkröten, die auf eine brauchbare Navigationsstrategie gestoßen waren und über die Gene diese Strategie an ihre Nachkommen weitergeben konnten, hatten mehr Erfolg als die anderen. Also gediehen sie und verdrängten die anderen, und bald gab es nur noch Schildkröten, die sich nach dem Mond orientieren konnten.
Schwimmt Groß-A’Tuin, die Schildkröte, die die Elefanten trägt, die die Scheibenwelt tragen, auf der Suche nach einem fernen Licht durch die Tiefen des Raumes? Vielleicht. Laut Das Licht der Phantasie »haben die Philosophen viele Jahre lang darüber diskutiert, wohin Groß-A’Tuin unterwegs sei, und ihre größte Sorge besteht darin, es möglicherweise nie zu erfahren. In zwei Monaten werden sie eine Antwort auf ihre Frage bekommen. Und dann haben sie wirklich Grund, sich Sorgen zu machen …« Denn wie ihr ans Erdendasein gefesseltes Gegenstück ist Groß-A’Tuin auf Fortpflanzung aus, was in diesem Fall heißt, sie begibt sich zum Ort ihrer eigenen Eiablage, um zuzuschauen, wie die Jungen ausschlüpfen. Die Geschichte endet damit, daß sie wieder in die kühlen Tiefen des Raumes hinausschwimmt, umkreist von acht kleinen Schildkröten (die anscheinend später ihre eigenen Wege gegangen sind und jetzt vielleicht sogar ganz kleine Scheibenwelten tragen) …
Das Interessante an den Tricks der irdischen Schildkröten ist die Tatsache, daß die Tiere in keiner Phase zu wissen brauchen, daß ihre Zeitplanung an die Bewegung des Mondes geknüpft ist, oder auch nur, daß der Mond existiert. Die Sache würde aber nicht funktionieren, wenn die kleinen Schildkröten den Mond nicht wahrnähmen, daher ziehen wir den Schluß, daß sie es tun. Wir können aber nicht auf die Existenz eines Schildkröten-Astronomen schließen, der sich über den rätselhaften Gestaltwandel des Mondes wundert.
Als eine bestimmte Gruppe von Affen auf der Bildfläche erschien, die im gesellschaftlichen Aufstieg begriffen waren, begannen sie jedoch solche Fragen zu stellen. Je besser die Affen es verstanden, diese Fragen zu beantworten, um so verwirrender wurde das Weltall; Wissen bringt neues Unwissen hervor. Die Botschaft, die sie mitbekamen, lautete: Dort Oben ist es ganz anders als Hier Unten.
Sie wußten nicht, daß Hier Unten ein ziemlich guter Ort zum Leben für Wesen wie sie war. Es gab Luft zum Atmen, Tiere und Pflanzen zum Essen, Wasser zum Trinken, Boden, auf dem man stehen, und Höhlen, in denen man sich vor dem Regen und den Löwen in Sicherheit bringen
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