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Die Gelehrten der Scheibenwelt

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Titel: Die Gelehrten der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Regeln, die niemals verletzt werden. Regeln, die wenig Raum für die Launen von Göttern lassen.
    Diese Betonung der Regeln stellt die Wissenschaft vor eine entmutigende Aufgabe. Sie muß erklären, wie eine Menge glühendes Gas und Gestein Dort Oben auch nur im entferntesten das Hier Unten hervorbringen kann, indem sie einfache Regeln befolgt, etwa ›große Dinge ziehen kleine Dinge an, und obwohl auch kleine Dinge große Dinge anziehen, tun sie es zu schwach, als das man es bemerken würde‹. Hier Unten scheint von einer strengen Befolgung von Regeln keine Spur zu sein. Einen Tag gehst du auf Jagd und erlegst ein Dutzend Gazellen; tags darauf erlegt ein Löwe dich. Hier Unten scheint die deutlichste Regel zu heißen: »Es gibt keine Regeln.« Abgesehen von der einen Regel, die man wissenschaftlich als ›Excreta passiert eben‹ ausdrücken könnte. Wie das Harvardsche Gesetz des Verhaltens von Tieren es formuliert: »Versuchstiere verhalten sich unter sorgfältig kontrollierten Laborbedingungen so, wie es ihnen gerade paßt.« Nicht nur Tiere: Jeder Golfspieler weiß, daß ein so einfaches Ding wie eine harte, federnde Kugel mit einem Pünktchenmuster darauf niemals tut, was man von ihm erwartet. Und was das Wetter betrifft …
    Die Wissenschaft hat sich nun ein zwei große Bereiche getrennt: die Wissenschaften vom Leben, die uns etwas über Lebewesen sagen, und die physikalischen Wissenschaften, die alles übrige behandeln. Historisch gesehen ist ›getrennt‹ entschieden das treffende Wort – die wissenschaftlichen Herangehensweisen dieser beiden großen Bereiche haben etwa soviel gemein wie Kreide und Käse. In der Tat ist ja Kreide eine Gesteinsart und gehört also eindeutig zu den geologischen Wissenschaften, während Käse, von der Tätigkeit von Bakterien an Körperflüssigkeiten von Kühen erzeugt, in die Zuständigkeit der biologischen Wissenschaften fällt. Beide Bereiche sind zweifellos Wissenschaft und betonen gleichermaßen die Rolle des Experiments zur Überprüfung von Theorien, doch ihre gewohnten Denkmuster folgen unterschiedlichen Bahnen.
    Bisher zumindest.
    Mit dem Herannahen des dritten Jahrtausends greifen immer mehr Aspekte der Wissenschaft über die Grenzen der Fachgebiete hinaus. Kreide zum Beispiel ist mehr als nur ein Gestein. Kreide ist das Überbleibsel der Schalen und Skelette von Millionen winziger Meereslebewesen. Und die Herstellung von Käse hängt von Chemie und Sensortechnik nicht weniger ab als von der Biologie des Grases und der Kühe.
    Der ursprüngliche Grund für diese Spaltung der Wissenschaft war die ausgeprägte Empfindung, daß Leben und Nicht-Leben extrem unterschiedliche Dinge sind. Nicht-Leben ist einfach und gehorcht mathematischen Regeln; Leben ist komplex und gehorcht überhaupt keinen Regeln. Wie gesagt, Hier Unten scheint es ganz anders zu sein als Dort Oben.
    Doch je mehr wir in die Bedeutung mathematischer Regeln eindringen, um so flexibler scheint ein auf Regeln gegründetes Universum zu sein. Und umgekehrt: Je besser wir die Biologie verstehen, um so wichtiger werden ihre physikalischen Aspekte – denn Leben ist keine besondere Art von Materie, also muß es ebenfalls den Regel der Physik gehorchen. Was wie eine breite, unüberbrückbare Kluft zwischen den Wissenschaften vom Leben und den physikalischen Wissenschaften aussah, schrumpft so rasch, daß es sich als nicht viel mehr als eine dünne Linie erweist, die in den Sand der Wissenschaftswüste geritzt ist.
    Wenn wir diese Linie überschreiten wollen, müssen wir unsere Denkweise allerdings einer Revision unterziehen. Nur zu leicht fällt man in alte – und unangebrachte – Gewohnheiten zurück. Um diesen Punkt zu veranschaulichen und ein Thema einzuführen, das sich durch das Buch ziehen wird, wollen wir betrachten, was uns die technischen Probleme, auf den Mond zu gelangen, über die Funktionsweise von Lebewesen sagen.
    Das Haupthindernis bei der Beförderung eines Menschen auf den Mond ist nicht die Entfernung, sondern die Gravitation. Man könnte in etwa dreißig Jahren zu Fuß zum Mond gehen – vorausgesetzt, man hätte einen Weg, Luft und das übliche Zubehör eines erfahrenen Reisenden –, wenn es nicht den größten Teil der Strecke bergauf ginge. Man braucht Energie, um einen Menschen von der Oberfläche des Planeten bis hinauf zu dem neutralen Punkt zu bringen, wo die Anziehungskraft des Mondes die Erdanziehung aufhebt. Die Physik liefert die definitive Untergrenze für die Energie, die

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