Die Gelehrten der Scheibenwelt
man aufbringen muß – das ist der Unterschied zwischen der ›potentiellen Energie‹ einer Masse, die sich im neutralen Punkt befindet, und der potentiellen Energie derselben Masse an der Erdoberfläche. Der Energieerhaltungssatz besagt, daß es mit weniger Energie nicht zu machen ist, egal, wie schlau man es anfängt.
Gegen die Physik kommt man nicht an.
Deswegen ist Raumforschung so teuer. Man braucht eine Menge Treibstoff, um einen Menschen mit einer Rakete in den Weltraum zu bringen. Und noch schlimmer: Man braucht weiteren Treibstoff, um die Rakete hinaufzubringen … und weiteren, um den Treibstoff hinaufzubringen … und … So oder so, wir scheinen am Grunde des Gravitationsbrunnens der Erde festzusitzen, und das Ticket nach draußen muß ein Vermögen kosten.
Wirklich?
Zu verschiedenen Zeiten sind ähnliche Berechnungen auf Lebewesen angewandt worden, und das mit bizarren Ergebnissen. Es ist ›bewiesen‹ worden, daß Känguruhs nicht springen, Hummeln nicht fliegen können und daß Vögel aus ihrer Nahrung nicht genug Energie gewinnen können, damit es wenigstens für die Nahrungssuche reicht. Es ist sogar ›bewiesen‹ worden, daß Leben unmöglich ist, da lebende Systeme einen immer höheren Grad an Ordnung erreichen, während aus der Physik folgt, daß in allen Systemen die Unordnung immer weiter zunimmt. Die wichtigsten Schlußfolgerungen, die Biologen aus derlei Übungen gezogen haben, sind eine tiefe Skepsis gegenüber der Brauchbarkeit der Physik für die Biologie und das angenehme Gefühl der Überlegenheit, da doch Leben offensichtlich weitaus interessanter als Physik ist.
Die richtige Schlußfolgerung lautet, daß man sehr vorsichtig mit den stillschweigenden Voraussetzungen umgehen muß, die man bei solchen Berechnungen macht. Nehmen wir zum Beispiel das Känguruh. Man kann ausrechnen, wieviel Energie ein Känguruh für einen Sprung aufwendet, man kann zählen, wie viele Sprünge es pro Tag macht, und eine Untergrenze für seinen täglichen Energiebedarf ableiten. Bei einem Sprung verläßt das Känguruh den Boden, steigt hoch und kommt wieder herunter, also ist die Berechnung dieselbe wie bei einer Raumrakete. Wenn man alles zusammenzählt, findet man heraus, daß der tägliche Energiebedarf eines Känguruhs etwas zehnmal höher ist als die Energie, die es aus seiner Nahrung gewinnen kann. Schlußfolgerung: Känguruhs können nicht springen. Da sie nicht springen können, können sie keine Nahrung finden, also sind sie alle tot.
Sonderbarerweise wimmelt es in Australien von Känguruhs, die zum Glück keine Ahnung von Physik haben.
Wo liegt der Fehler? Die Berechnung behandelt ein Känguruh, als wäre es ein Sack Kartoffeln. Anstelle von, sagen wir, tausend Känguruhsprüngen pro Tag ermittelt sie die Energie, die benötigt wird, um einen Sack Kartoffeln tausendmal vom Boden zu heben und zurückfallen zu lassen. Aber wenn man sich eine Zeitlupenaufnahme von einem Känguruh ansieht, wie es durchs australische Hinterland hüpft, sieht es nicht wie ein Sack Kartoffeln aus. Es federt zurück, springt dahin wie eine große Gummifeder. Während die Beine sich nach oben bewegen, bewegen sich Kopf und Schwanz nach unten und speichern Energie in den Muskeln. Wenn dann die Füße auf den Boden treffen, wird diese Energie freigesetzt, um den nächsten Sprung auszulösen. Da der größte Teil der Energie geborgt und zurückgezahlt wird, wird pro Sprung nur eine winzige Menge Energie benötigt.
Nun ein Assoziationstest für Sie. ›Sack Kartoffeln‹ verhält sich zu ›Känguruh‹ wie ›Rakete‹ – wozu? Eine mögliche Antwort wäre eine Weltraumlift. In der Oktobernummer 1945 von Wireless World erfand der Science Fiction-Autor Arthur C. Clarke das Konzept einer geostationären Umlaufbahn, das jetzt praktisch allen Nachrichtensatelliten zugrunde liegt. In einer bestimmten Höhe – etwa 35 000 km über der Erdoberfläche – umkreist ein Satellit die Erde exakt synchron mit der Erddrehung. Also sieht es vom Erdboden so aus, als würde sich der Satellit nicht bewegen. Das ist nützlich für die Kommunikation: Man kann seine Satellitenantenne in einer festen Richtung einstellen und bekommt immer zusammenhängende, intelligente Signale oder, wenn das nicht möglich ist, so doch wenigstens MTV.
Fast dreißig Jahre später machte Clarke ein Konzept von weitaus größerem technischen Veränderungspotential populär. Man bringt einen Satelliten in eine geostationäre Bahn und läßt ein
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