Die Gelehrten der Scheibenwelt
halten vermochten, damit das Leben entstand, sich verzweigte und gedieh. Jederzeit könnte irgendeine Katastrophe das alles zunichte machen und sämtliche Lebewesen vom Antlitz des Planeten hinwegfegen. Die Krebszivilisation ist natürlich erfunden, aber wir haben sie in unserer Geschichte, um auf zwei wichtige Dinge hinzuweisen. Erstens, daß es jede Menge Zeit gegeben hat, damit sich auf der Erde Lebensformen entwickeln konnten, die mindestens ebenso intelligent sind wie wir; zweitens, daß, wenn sich wirklich welche entwickelt hätten, sie ohne weiteres keinerlei Spuren ihrer Existenz hinterlassen haben könnten. Ach ja, und drittens …, daß es eine Menge Möglichkeiten gibt, wie sie ein Ende mit Schrecken gefunden haben könnten. Wir hatten also unglaublich viel Glück, daß wir nicht das Schicksal der Krebszivilisation geteilt haben. Auf Millionen anderer anscheinend geeigneter Welten hatte das Leben nicht soviel Glück; entweder entstand es gar nicht erst, oder etwas löschte es aus. Leben ist eine Seltenheit; die Erde ist vielleicht der einzige Ort im ganzen Universum, an dem sich dieses verletzliche Wunder ereignet hat.
Die andere Deutung besagt, daß das Leben unglaublich robust ist und daß die Bedingungen auf der Erde genügen , damit Leben entstand, daß sie aber keineswegs notwendig sind. Allein daraus, daß sich die Dinge hier auf eine Weise ergeben haben, läßt sich nicht schlußfolgern, daß sich anderswo dasselbe ereignen muß. Eine wichtige Implikation der Evolution ist, daß sich das Leben automatisch an jede Umwelt anpaßt, die gerade zur Verfügung steht. Kochendes Wasser am Grunde des Ozeans? Genau das, was extremophile Baktieren brauchen. Drei Kilometer tief im Felsgestein? Super – dort unten ist es schön warm, es gibt eine Menge Schwefel und Eisen, um Energie zu liefern. Der Vorsehung sei Dank gibt es nichts von diesem giftigen Sauerstoff – schreckliches Zeug, das: reagiert heftig, ungeheuer zerstörerisch. In einer Sauerstoffatmosphäre könnte absolut nichts überleben …
Beide Sichtweisen haben ihre Verfechter, und für beide spricht einiges. Solange wir nicht zu anderen Welten fliegen und feststellen, was dort ist, wird es reichlich Raum für Meinungsverschiedenheiten und Debatten geben. Und vielleicht für eine Synthese. Beide Sichtweisen stimmen bereits darin überein, daß, wie auch immer das Leben hier entstand, die Erde kein Garten Eden war. Unser Planet ist keineswegs der ideale Wohnort für Leben. Damit Lebewesen überleben können, mußte die Evolution eine Menge schwierige Probleme lösen und sie an widrige Bedingungen anpassen.
Vielleicht ist Ihnen nicht klar, wie widrig. Aber denken Sie an die üblichen Katastrophen: Brände, Orkane, Wirbelstürme, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Gezeitenwellen, Überschwemmungen, Dürrezeiten … Zuviel Regen, und wir stehen bis zum Hals im Wasser; zu wenig, und unsere Ernte verdirbt und wir hungern.
Aber das alles ist schwächlich im Vergleich zu den großen Katastrophen .
Wir neigen dazu, uns die Geschichte des Lebens auf der Erde als gleichmäßiges Wachtum eines einzigen großen Baumes der Evolution vorzustellen. Aber dieses Bild wird immer schiefer. Die Geschichte des Lebens ähnelt eher einem Dschungel als einem Baum, und die meisten Pflanzen im Dschungel wurden erwürgt, zerquetscht oder erstickt, ehe sie auch nur den ersten Schritt auf dem Wege zur Reife taten. Und wie auch immer jener Dschungel wuchs, es war nichts Gleichmäßiges daran.
Zwar war da in der Tat eine sehr lange Zeit, als es nichts als ›Kleckse‹ im Meer gab, und wir könnten uns diese Periode als einen Baumstamm ohne besondere Eigenschaften vorstellen. Soweit es die Kleckse anging, war das Leben wahrscheinlich ziemlich ereignisarm – aber nur, weil sie nicht bemerkten , was mit dem Planeten vor sich ging. Sie wurden von einer ganzen Reihe von Ereignissen kaum berührt, die für das spätere, komplexere Leben kosmische Katastrophen gewesen wären.
Gewiß gab es zu Beginn des Lebens auf dem Planeten ein paar ziemlich schwere Einschläge von kosmischen Körpern, die dem Leben aber nicht den Garaus machten. Und der Schneeball Erde – wenn es ihn wirklich jemals gegeben hat – kann nicht leicht zu ertragen gewesen sein. Doch trotz dieser Hindernisse oder sogar ihretwegen veränderte sich das Leben allmählich, entwickelte und verzweigte sich, als die Eukaryoten lernten, in einer Sauerstoffatmosphäre zu leben.
Das hätte eine Katastrophe sein müssen.
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