Die Gelehrten der Scheibenwelt
Die Zusammensetzung der Atmosphäre selbst änderte sich, und alle biochemischen Tricks, die sich entwickelt hatten, um dem verfügbaren Spektrum an Gasen Genüge zu tun, veralteten. Schlimmer noch, das Gas, das die Atmosphäre vergiftete, war Sauerstoff, eine skandalös reaktive Substanz. Stellen Sie sich vor, was heute geschehen würde, wenn sich Fluor in der Atmosphäre durchsetzen würde. Einige der widerwärtigsten, explosivsten Substanzen sind Fluorverbindungen. Aber Sauerstoff ist ebensoschlimm, wenn nicht schlimmer – denken Sie an Brände, an Rost, an Verwesung.
Die Eukaryoten-Zelle triumphierte über den Sauerstoff und unterwanderte ihn. Die negativen Eigenschaften des Sauerstoffs wurden in positive verwandelt. So wirksam war diese evolutionäre Revolution, daß der tödliche Giftstoff für das Leben (den größten Teil davon) unerläßlich wurde. Nehmen Sie einem Menschen, einem Hund oder einem Fisch seinen Sauerstoff, und er stirbt sehr schnell. Wasser, Nahrung – ohne die kommt man eine Zeitlang aus. Aber Sauerstoff? Ohne den überleben Sie höchstens ein paar Minuten, vielleicht eine halbe Stunde, falls Sie ein Wal sind.
Der Sauerstoff-Trick war so gut, daß er sich durchsetzte. Eukaryoten-Leben verzweigte sich – wurde rapide vielfältiger – in den Meeren und erfand völlig neue Arten von Ökologien. Mit dieser wachsenden Vielfalt als Sprungbrett kam das Leben an Land. Der Vorteil, an Land zu kommen, lag darin, daß es ein ganzes Spektrum neuer Lebensräume eröffnete, neue Methoden, sein Leben zu bestreiten. So viele neue Arten lebender Organismen konnten gedeihen. Ein Nachteil jedoch bestand darin, daß das Leben an Land viel anfälliger für kosmische Bedrohungen war. An Land zu leben, brachte viel kompliziertere Arten von Pflanzen und Tieren hervor, die imstande waren, sich vor kleinen örtlichen Veränderungen zu schützen, etwa vor Sonnenhitze oder Schnee. Doch ironischerweise machte sie ebendiese Kompliziertheit viel anfälliger für große Probleme – wie für Steine, die vom Himmel fallen.
Wir alle haben von dem Meteoriten gehört, der die Dinosaurier umbrachte – und das paßt. Dinosaurier waren wunderbar wirkungsvoll, solange die Umwelt für sie geeignet blieb, aber sie waren nicht im mindesten an die plötzlichen Veränderungen angepaßt, die der Aufschlag nach sich zog. Die Bakterien jedoch bemerkten kaum etwas. Wenn überhaupt, dann war es für sie eine gute Zeit: Ein paar hundert Jahre lang bekamen sie eine Menge zusätzliche Nahrung, während die Leichen verwesten, und dann kehrten sie eben zur alten langweiligen Routine zurück.
Wir werden in Kürze etwas mehr zu der rund zweihundert Millionen Jahre währenden Herrschaft der Dinosaurier und ihrer Freunde sagen, zumal darüber, was sie ausrottete. Doch erst müssen wir Ihnen den großen Zusammenhang zeigen. Einfache Lebensformen können eine Menge aushalten und haben es auch getan. Und sie haben den Planeten verändert, zumindest seine äußere Haut, indem sie Rückkopplungsschleifen einführten, die Veränderungen weniger wahrscheinlich machten.
Sie brachten Gaia in Gang. Das ist der Name, den James Lovelock 1982 dem Konzept der Erde als ein komplexes lebendes System gab – bildlich gesprochen, als ein eigenständiger Organismus. Die Idee ist dahingehend romantisch abgewandelt worden, daß die Erde eine Art Erdmutter sei, aber was kann man denn erwarten, wenn man seinem wissenschaftlichen Konzept den Namen einer Göttin verpaßt?* [ * Falls sich jemand über die quasi altgriechische Schreibweise wundert: In anderem Zusammenhang erscheint die Erde, Göttin oder nicht, heute meistens als Gäa oder sogar Gea. – Anm. d. Übers. ] Wenn man das romantische Brimborium wegläßt, läuft es darauf hinaus, daß sich unser Planet wie ein einziges System verhält und Mechanismen entwickelt hat, die dieses System wirksam in Gang halten. Diese Entwicklung ist die Folge zahlloser Untersysteme – Organismen, Ökologien –, die Mechanismen bilden, die für eine stete Fortführung sorgen. Wenn jedes Mitglied eines Teams seine Rolle immer besser darin spielt, verbessert sich auch das Team insgesamt.
Komplexität ist ein zweischneidiges Schwert. Komplexere Lebensformen stellen fest, daß sie die gewöhnlichen Probleme, die mit dem Leben auf einem Planeten verbunden sind, immer besser unter Kontrolle haben – ausgenommen die verflixten Probleme von außen, wie Meteoriten, die katastrophal sein können.
Der Mond, der Merkur, der Mars
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