Die Gelehrten der Scheibenwelt
K-T-Ereignis ohne nennenswerte Einbußen an Artenvielfalt. Und jene kleinen Dinosaurier, die man ›Vögel‹ nennt, schafften es ziemlich unbehelligt. (Da ist eine Geschichte, die wir rasch erzählen müssen. Vor nicht langer Zeit war die Idee, daß die Vögel die überlebenden Reste der Dinosaurier seien, neu, strittig und darum ein heißes Thema. Dann wurde sie rasch zur anerkannten Lehrmeinung. Neue Fossilfunde haben jedoch schlüssig bewiesen, daß sich die Hauptfamilien der modernen Vögel lange vor dem K-T-Ereignis im Sinne der Evolution getrennt haben. Sie sind also nicht die Überreste der ansonsten ausgestorbenen Dinosaurier – sie zogen sich frühzeitig aus der Affäre, indem sie aufhörten, überhaupt Dinosaurier zu sein.)
Die Mythen, nicht zuletzt Jurassic Park selbst, haben die Überzeugung verbreitet, die Dinosaurier seien überhaupt nicht ›wirklich‹ ausgestorben. Sie leben noch – wie uns zumindest halbphantastische Berichte glauben machen – in den Verlorenen Welten südamerikanischer Täler, auf unbewohnten Inseln, in den Tiefen von Loch Ness, auf anderen Planeten oder – mystischer – als DNS im Innern von blutsaugenden Insekten konserviert, die in Bernstein eingeschlossen sind. Was das betrifft, so stammt die ›uralte DNS‹, die angeblich aus in Bernstein fossil gewordenen Insekten gewonnen wurde, von modernen Verunreinigungen und nicht von prähistorischen Organismen – zumindest wenn der Bernstein älter als hunderttausend Jahre ist.
Es ist kennzeichnend, daß niemand Filme gedreht hat, in denen Dodos, Moas, Zwergelefanten oder Mosasaurier wiederbelebt werden – nur Dinosaurier und Hitler sind beliebte Gegenstände des Wiedererweckungs-Mythos. Beide gleichzeitig wären ein hübscher Einfall.
Dinosaurier sind das endgültige Sinnbild für eine Tatsache der Evolution, die wir im allgemeinen ignorieren und uns äußerst ungern in Erinnerung rufen: Nahezu alle Arten, die jemals existiert haben, sind ausgestorben. Sobald uns das zu Bewußtsein kommt, müssen wir die Erhaltung von Tierarten in neuem Lichte betrachten. Macht es wirklich etwas aus, daß es vom kleineren gepunkteten Pogo-Vogel nur noch ein paar hundert Exemplare gibt oder daß vom Menschen eingeführte Raubtiere hundert Baumschnecken-Arten auf einer Pazifikinsel ausgerottet haben? Manche – wie die Einführung des Nilbarschs im Viktoriasee, wodurch das Sportangeln verbessert werden sollte, was aber zum Verlust vieler Hunderter faszinierender Buntbarscharten geführt hat – werden sogar von den dafür Verantwortlichen bedauert, und sei es nur, weil das neue Ökosystem des Sees viel ertragsärmer zu sein scheint. Alle (ausgenommen die Lieferanten bizarrer altertümlicher ›Arzneien‹, ihre noch dümmeren Kunden und ein paar unbelehrte Barbaren) scheinen darin übereinzustimmen, daß der Verlust großartiger Geschöpfe wie der großen Wale, Elefanten, Nashörner und natürlich von Pflanzen wie Ginkgos und Sequoien eine Tragödie wäre. Nichtsdestoweniger arbeiten wir unbeirrt daran, die Vielfalt der Arten in Ökosystemen überall auf dem Planeten zu verringern und viele Arten von Käfern und Bakterien auszulöschen, ohne daß es jemanden kümmert.
Aus der Sicht der Mehrheit der Menschen gibt es ›gute‹ Arten, unwichtige Arten und ›böse‹ Arten wie Pocken und Moskitos, ohne die wir offensichtlich besser dran wären. Wenn man keinen extremen Standpunkt in bezug auf das ›Recht‹ sämtlicher Lebewesen auf fortdauernde Existenz einnimmt, sieht man sich vor der Notwendigkeit, darüber zu urteilen, welche Arten bewahrt werden sollten. Und wenn man tatsächlich den extremen Standpunkt einnimmt, hat man ein echtes Problem, wenn man die Rechte von Geparden und die ihrer Beute wie etwa der Gazellen bewahren will. Wenn man es anderseits mit dem Urteilen ernst nimmt, kann man nicht einfach annehmen, daß beispielsweise Mükken schlecht sind und ausgerottet werden müssen. Ökosysteme sind dynamisch, und das Verschwinden einer Art an einer Stelle kann unerwartete Schwierigkeiten an einer anderen auslösen. Man muß die ungewollten Folgen seines Tuns ebenso untersuchen wie die beabsichtigten. Als weltweite Anstrengungen zur Ausrottung von bestimmten Mückenarten unternommen wurden, um die Malaria zu beseitigen, war die bevorzugte Methode massenhaftes Versprühen des Insektizids DDT. Eine Zeitlang schien das zu funktionieren, doch mittelfristig führte es dazu, daß haufenweise Nutzinsekten und andere Wesen ausgerottet wurden
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