Die Gelehrten der Scheibenwelt
Vielfalt an Gestalt, Größe und Verhalten. Das größte Säugetier, der Blauwal, lebt im Ozean und sieht wie ein Fisch aus, ist aber kein Fisch; er kann rund 135 Tonnen wiegen. Die kleinsten Säugetiere, verschiedene Spitzmausarten, leben in Bodenlöchern und wiegen etwa 30 g. Ungefähr in der Mitte liegen die Menschen, die sich paradoxerweise darauf spezialisiert haben, unspezialisiert zu sein. Wir sind die intelligentesten unter den Säugetieren – manchmal.
Das hervorstechendste Unterscheidungsmerkmal von Säugetieren ist es, daß sie als Junge von ihrer Mutter mit Milch aus besonderen Drüsen gefüttert werden. Zu den anderen Eigenschaften, die (fast) alle Säugetiere gemein haben, gehören ihre Ohren, speziell die drei Amboß, Hammer und Steigbügel genannten Knöchelchen im Mittelohr, die den Schall vom Trommelfell weiterleiten, Haare (außer bei erwachsenen Walen) und das Zwerchfell, das Herz und Lunge von den übrigen inneren Organen trennt. Praktisch alle Säugetiere sind lebendgebärend, die Ausnahmen sind das Schnabeltier und der Ameisenigel, die Eier legen. Eine andere merkwürdige Eigenschaft: Die roten Blutzellen der Säugetiere haben im Unterschied zu denen anderer Wirbeltiere keinen Zellkern. Das alles beweist eine lange gemeinsame Evolutionsgeschichte, in der sich ein paar ungewöhnliche Vorfälle ereigneten, deren wichtigster die frühe Trennung Australiens vom übrigen Gondwanaland war. Moderne Untersuchungen von Säugetier-DNS belegen, daß wir im Grunde alle eine große glückliche Familie sind.
Als die Dinosaurier ausstarben, hatten die Säugetiere ihre große Chance. Von der Herrschaft der Dinosaurier befreit, konnten sie Umweltnischen besetzen, die ein paar Millionen Jahre zuvor einfach nur irgendeinem Dinosaurier eine wohlfeile Mahlzeit verschafft hätten. Wahrscheinlich hatte die gegenwärtige Vielfalt der Säugetiere viel mit ihrem plötzlichen Herrschaftsantritt zu tun – eine Zeitlang konnte fast jede Lebensweise den Lebensunterhalt sichern. Es wäre jedoch falsch zu glauben, daß die Säugetiere entstanden seien, um die von den verschwundenen Dinosauriern hinterlassene Lücke zu füllen. Säugetiere haben mindestens 150 Millionen Jahre lang neben den Dinosauriern gelebt.
Harry Jerison hat folgende Ansicht geäußert: Ehe die Dinosaurier wirklich dominant wurden, konnten die Säugetiere ihren Lebensunterhalt bei Tageslicht bestreiten und entwickelten zu diesem Zweck gute Augen. Als die Dinosaurier ein immer größeres Problem wurden, paßten sich die Säugetiere an ein bescheideneres Leben an und blieben tagsüber größtenteils unterirdisch verborgen. Als Nachttier braucht man ein gutes Gehör; also stattete der Evolutionsdruck die Säugetiere damals mit ausgezeichneten Ohren aus – einschließlich der drei Knöchelchen. Sie behielten aber ihr Sehvermögen. Also hatten die Säugetiere, als sie sich wieder ins Tageslicht wagten, gutes Seh- und gutes Hörvermögen. Diese Kombination schenkte ihnen einen wesentlichen Vorteil gegenüber den meisten verbliebenen Konkurrenten.
Die Säugetiere entwickelten sich aus einer Ordnung von Trias-Reptilien, die Therapsiden genannt werden – größtenteils kleine, schnelle Jäger, obwohl einige von ihnen Pflanzenfresser waren. Verglichen mit anderen Reptilien, waren die Therapsiden nicht besonders beeindruckend, doch ihre bescheidene Lebensweise führte schrittweise zu den charakteristischen Merkmalen der Säugetiere. Ein Zwerchfell ermöglicht wirksamere Atmung, die nützlich ist, wenn man schnell laufen muß. Es erlaubt auch, daß die Jungtiere weiteratmen, während sie von der Mutter gesäugt werden; Veränderungen an Tieren ergeben sich in einer ›Koevolution‹, einer Anzahl von aufeinander abgestimmten Eigenschaften, nicht von jeweils nur einer einzelnen. Haare halten einen warm, und je wärmer man ist, um so schneller können sich alle Körperteile bewegen … und so weiter.
Das alles erschwerte die Entscheidung, wann aus den säugetierähnlichen Reptilien-Vorfahren der Therapsiden reptilienähnliche Säugetiere wurden … aber, wie gesagt, Menschen haben ihre Schwierigkeiten mit allmählichem Werden. Es hat einfach keinen solchen Punkt gegeben, sondern einen meistenteils allmählichen, hin und wieder etwas ruckartigen Übergang.* [ * Gut, wenn Sie darauf bestehen … Unser Lieblingskriterium sind die Haare. Doch Haare werden nicht fossil, wie kann man sie feststellen? Wenn man Haare hat, muß man sie kämmen. Am ganzen Körper.
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