Die Gelehrten der Scheibenwelt
Generationen waren absolut überzeugt, daß ihre wissenschaftlichen Theorien so gut wie perfekt seien, nur damit sich herausstellte, daß sie den Kern der Sache völlig verfehlt hatten. Warum sollte es mit unserer Generation anders sein? Hüten Sie sich vor wissenschaftlichen Fundamentalisten, die Ihnen einreden wollen, alles sei ziemlich fertig ausgearbeitet und nur noch hier und da eine Kleinigkeit zu klären. Gerade wenn die Mehrheit der Wissenschaftler so etwas glaubt, tritt die nächste Revolution in unserem Weltbild ins Leben, obwohl ihre schwachen ersten Schreie im ohrenbetäubenden Gebrüll der Orthodoxie untergehen.
Werfen wir einen Blick auf die gegenwärtigen Ansichten, wie das Universum begann. Eine der Feststellungen, die wir werden machen müssen, lautet, daß Menschen Schwierigkeiten mit dem Konzept von ›Beginnen‹ haben. Und noch mehr Schwierigkeiten, muß man sagen, mit ›Werden‹. Unser Denken hat sich entwickelt, um ziemlich spezifische Aufgaben zu lösen, wie einen Partner auszuwählen, Bären mit einem spitzen Stock zu töten und eine Mahlzeit zu kriegen, ohne eine zu werden. Wir waren überraschend gut darin, diese Module für Zwecke anzuwenden, für die sie niemals ›bestimmt‹ waren – das heißt für Aufgaben, für die sie während ihrer Evolution nicht benutzt wurden, denn eine bewußte Bestimmung hat es nicht gegeben –, wie eine Route das Matterhorn hinauf zu planen, Bilder aus den Zähnen von Seelöwen oder Eisbären zu schnitzen* [ * Nicht, solange sie sich noch im Eisbären befinden. ] und den Brennpunkt eines komplexen Kohlenwasserstoffmoleküls zu berechnen. Wegen der Art, wie sich unsere Denkmodule entwickelt haben, denken wir uns Anfänge analog zu der Art, wie der Tag beginnt, und unter Werden stellen wir uns vor, wie ein Eisbärzahn zu einem geschnitzten Amulett wird oder wie eine lebende Spinne tot wird, wenn wir sie zerquetschen.
Das heißt: Anfänge beginnen irgendwo (an dem Ort, wo was auch immer beginnt ), und Veränderungen machen Ding Eins zu Ding zwei, indem sie es über eine klar definierte Grenze stoßen (der Zahn war nicht geschnitzt, aber jetzt ist er es; die Spinne war nicht tot, aber jetzt ist sie’s). Leider funktioniert das Universum nicht auf so einfältige Weise, daher haben wir erhebliche Schwierigkeiten, wenn wir darüber nachdenken, wie ein Weltall beginnen kann oder wie eine Eizelle und eine Spermazelle zu einem lebenden Kind werden können.
Lassen wir das Werden zunächst beiseite und denken wir übers Beginnen nach. Dank unseren in der Evolution erworbenen Vorurteilen neigen wir zu der Ansicht, der Beginn des Universums sei eine besondere Zeit, vor der das Universum nicht existierte und nach der es vorhanden war. Weiterhin muß, als das Universum vom Nichtsein zum Sein wechselte, etwas die Veränderung verursacht haben – etwas, das vor dem Anfang des Universums da war, sonst hätte es das Entstehen des Universums nicht verursachen können. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß der Beginn des Universums auch der Beginn des Raumes und der Anfang der Zeit ist, ist diese Sichtweise entschieden problematisch. Wie kann es ein Vorher geben, wenn die Zeit noch nicht angefangen hat? Wie kann es eine Ursache für den Anfang des Universums geben, wenn kein Raum vorhanden ist, in dem das geschehen kann, und keine Zeit, zu der es sich ereignet?
Vielleicht existierte schon etwas anderes … Aber jetzt müssen wir feststellen, wie das anfing, und es entstehen dieselben Schwierigkeiten. Na gut, bringen wir’s hinter uns: Etwas – vielleicht das Weltall selbst, vielleicht ein Vorgänger – ist immer dagewesen. Es hatte keinen Anfang, es war einfach da, immerzu.
Zufrieden? Dinge, die es schon immer gegeben hat, brauchen nicht erklärt zu werden, weil sie keine Ursache benötigen? Aus welcher Ursache sind sie dann schon immer dagewesen?
Wir kommen jetzt nicht umhin, den Schildkrötenwitz zu erwähnen. Stephen Hawking erzählt ihn zu Beginn von Eine kurze Geschichte der Zeit , aber er ist ein gutes Stück älter. Nach der indischen Legende ruht die Erde auf den Rücken von vier Elefanten, die auf einer Schildkröte stehen. Doch worauf stützt sich die Schildkröte? In der Scheibenwelt braucht sich Groß-A’Tuin auf nichts zu stützen, sondern schwimmt durchs Weltall, ohne sich um ihren Halt zu kümmern. Da ist Magie am Werk: Weltentragende Schildkröten sind eben so. Doch der alten Dame zufolge, die für die indische Kosmologie eintrat und der ein
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