Die Gelehrten der Scheibenwelt
physikalische Dimension in dem Sinne, wie der Raum eine ist. Der scheinbare Fluß der Zeit sei eine Illusion, die entsteht, weil die Ansammlung von Jetzt-Zuständen, die einem Menschen entspricht, ihn die Welt so wahrnehmen läßt, als ob sie eine geordnete Folge von Ereignissen sei, die eins nach dem anderen geschehen. Scheinbare Lücken der ›Dauer‹ zwischen zwei aufeinanderfolgenden Ereignissen sind einfach Leerstellen, wo es kein ›Jetzt‹ gibt. Der Zeitdieb untersucht ein paar bemerkenswert ähnliche Themen aus der Sicht der Scheibenwelt. In diesem Buch wollen wir jedoch der Zeit gegenüber eine herkömmliche Haltung einnehmen und sie als wirklichen Teil der Physik betrachten.
Die Kosmologen sind sich ziemlich einig, daß folgendes geschah: Das Universum entstand als winziges Fleckchen von Raum und Zeit. Die Menge des Raums innerhalb dieses winzigen Fleckchens nahm rapide zu, und die Zeit verging, so daß ›rapide‹ tatsächlich eine Bedeutung hatte. Alles, was es heute gibt – bis hinaus in die fernsten Tiefen des Raumes –, stammt von jenem erstaunlichen Beginn. Umgangssprachlich ist das Ereignis als Urknall oder ›Big Bang‹ bekannt. Der Name gibt mehrere Eigenschaften des Vorgangs wieder – zum Beispiel war dieses winzige Fleckchen Raum/Zeit ungeheuer heiß und nahm extrem schnell an Größe zu. Es war wie eine große Explosion – aber es gab keine Stange kosmisches Dynamit, die da mit immaterieller brennender Lunte im Nichtraum steckte, während eine Art vor-zeitliche Pseudo-Uhr die Sekunden bis zur Detonation zählte. Was explodierte, war – nichts. Raum, Zeit und Materie sind die Ergebnisse dieser Explosion: An ihrer Ursache hatten sie keinen Anteil. Tatsächlich hatte es in einem sehr wirklichen Sinne keine Ursache.
Es gibt zweierlei Indizien für den Urknall. Das erste Indiz ist die Entdeckung, daß sich das Weltall ausdehnt. Das zweite ist die Tatsache, daß man ›Echos‹ des Urknalls noch heute feststellen kann. Die Möglichkeit, daß das Weltall größer werden könnte, tauchte erstmals in mathematischen Lösungen für Gleichungen auf, die Albert Einstein formuliert hatte. Einstein betrachtete die Raumzeit als ›gekrümmt‹. Ein Körper, der sich durch gekrümmte Raumzeit bewegt, weicht von seinem normalen geradlinigen Weg ab wie eine Murmel auf einer gekrümmten Fläche. Diese Abweichung kann als ›Kraft‹ gedeutet werden – etwas, das den Körper von der ideal geraden Linie wegzieht. In Wahrheit zieht da nichts, es gibt nur eine Krümmung in der Raumzeit, die eine Krümmung in der Bahn des Körpers bewirkt. Aber es sieht so aus, als sei da eine Zugkraft. Diese scheinbare Zugkraft ist nämlich das, was Newton seinerzeit, als man glaubte, sie ziehe tatsächlich Körper zueinander, ›Gravitation‹ nannte. Jedenfalls schrieb Einstein ein paar Gleichungen auf, wie solch ein krummes Universum sich zu verhalten habe. Die Gleichungen waren sehr schwer zu lösen, aber nach einigen außerordentlich starken Annahmen – hauptsächlich, daß zu jedem Zeitpunkt der Raum eine Kugel ist – haben Mathematik-Experten unter den Physikern einige Antworten herausbekommen. Und diese winzige, sehr spezielle Liste von Lösungen, alles, was sie mit ihren schwachen Methoden finden konnten, sagte ihnen drei Dinge, die das Weltall tun könnte. Es könnte für immer dieselbe Größe behalten; es könnte in einen einzigen Punkt zusammenstürzen; oder es könnte aus einem einzigen Punkt heraus ohne Ende immer weiter an Größe zunehmen.
Wir wissen jetzt, daß es viele weitere Lösungen für die Einstein-Gleichungen gibt, die zu allen möglichen bizarren Verhaltensweisen führen, doch seinerzeit, als unser heutiges Paradigma festgelegt wurde, waren nur diese Lösungen bekannt. Also nahm man an, das Universum müsse sich nach einer von diesen drei Lösungen verhalten. Die Wissenschaft war unterschwellig entweder auf eine fortdauernde Schöpfung (das Universum ist immer dasselbe) oder auf den Urknall gefaßt. Der Große Kollaps, bei dem das Universum zu einem unendlich dichten, unendlich heißen Punkt schrumpft, hatte psychologisch keine Anziehungskraft.
Auftritt von Edwin Hubble, einem amerikanischen Astronomen. Hubble beobachtete ferne Sterne und machte eine merkwürdige Entdeckung. Je weiter entfernt die Sterne waren, desto schneller bewegten sie sich. Er wußte das aus ausgesprochen indirekten – aber wissenschaftlich unanfechtbaren – Gründen. Sterne senden Licht aus, und Licht enthält viele
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