Die Gelehrten der Scheibenwelt
verschiedene Farben, darunter ›Farben‹, die das menschliche Auge nicht wahrnehmen kann, wie Infrarot, Ultraviolett, Radiowellen, Röntgenstrahlen … Licht ist eine elektromagnetische Welle, und zu jeder möglichen Wellenlänge des Lichts – dem Abstand von einem Wellenberg zum nächsten – gehört eine ›Farbe‹. Für rotes Licht beträgt dieser Abstand 0,7 Tausendstel Millimeter (0,7 µm).
Hubble bemerkte, daß mit dem von den Sternen ausgestrahlten Licht etwas Komisches passierte: Die Farben verschoben sich zum Rot hin. Je weiter ein Stern entfernt war, um so größer die Verschiebung. Er deutete diese ›Rotverschiebung‹ als Anzeichen, daß sich die Sterne von uns fortbewegen, denn es gibt eine ähnliche Verschiebung beim Schall, die als ›Dopplereffekt‹ bekannt ist, und sie wird dadurch hervorgerufen, daß sich die Schallwelle bewegt. Je weiter also die Sterne entfernt sind, um so schneller bewegen sie sich. Das bedeutet, daß die Sterne sich nicht schlechthin von uns fortbewegen – sie bewegen sich voneinander fort wie ein Schwarm Vögel, der sich in alle Richtungen zerstreut.
Das Weltall, sagte Hubble, dehnt sich aus.
Natürlich dehnt es sich nicht irgendwohin aus. Der Raum innerhalb des Universums wächst einfach.* [ * Die unanfechtbare Denkweise auf der Scheibenwelt besagt tatsächlich, daß das Weltall, gleichgültig, wie weit es wächst, immer gleich groß ist. ] Da spitzten die Physiker die Ohren, denn es paßte genau zu einem ihrer drei Szenarien für die Veränderung der Größe des Weltalls: gleichbleibend, wachsend, schrumpfend. Sie ›wußten‹, daß es eins von den dreien sein mußte, doch welches? Nun wußten sie das auch. Wenn wir akzeptieren, daß das Weltall wächst, können wir ausrechnen, wo es herkommt, indem wir die Zeit zurücklaufen lassen, und dieses in der Zeit umgekehrte Universum fällt zu einem einzigen Punkt zusammen. Wenn man die Zeit wieder richtigherum sieht, muß es aus einem einzigen Punkt heraus gewachsen sein – beim Urknall. Indem wir die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls abschätzen, finden wir heraus, daß sich der Urknall vor 15 Milliarden Jahren ereignete.
Es gibt weitere Indizien, die für den Urknall sprechen: Er hat ›Echos‹ hinterlassen. Der Urknall erzeugt riesige Mengen an Strahlung, die sich durch das Weltall ausbreitet. Da das Weltall kugelförmig ist, trifft die Strahlung schließlich wieder auf sich selbst wie ein Reisender, der die Welt umrundet. Im Lauf von Jahrmilliarden haben sich die Reste der Strahlung vom Urknall über den ›kosmischen Hintergrund‹ verteilt, eine Art schwacher Schimmer von Strahlungsenergie überall am Himmel, das Licht-Äquivalent zum Echo beim Klang. Es ist, als ob Gott im Augenblick der Schöpfung »Hallo!« gerufen habe und wir immer noch von den fernen Bergen her ein schwaches »alloallo allo alloallo …« hören könnten. Auf der Scheibenwelt ist genau das der Fall, und die Lauschenden Mönche in ihren entlegenen Tempeln verbringen ihr ganzes Leben mit dem angestrengten Versuch, aus den Klängen des Universums die schwachen Echos des Wortes herauszuhören, das alles in Gang gesetzt hat.
Nach den Einzelheiten des Urknalls müßte die kosmische Hintergrundstrahlung eine ›Temperatur‹ (das Äquivalent zur Lautstärke) von etwa 3 Kelvin haben (0 Kelvin sind die niedrigste mögliche Temperatur und entsprechen ungefähr –273 °C). Astronomen können die Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung messen, und sie kommen wirklich auf 3 Kelvin. Der Urknall ist nicht bloß eine wüste Spekulation. Vor nicht allzu langer Zeit wollten die meisten Wissenschaftler nicht daran glauben, und sie änderten ihre Meinung nur wegen Hubbles Indiz für die Ausdehnung des Weltalls und wegen des beeindruckend genauen Wertes von 3 Kelvin für die Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung.
Es war wirklich ein sehr lauter und heißer Knall.
Wir waren also im Zwiespalt in bezug auf das Beginnen – der Aspekt eines ›Schöpfungsmythos‹, der den Anfängen innewohnt, spricht unseren Sinn für den narrativen Imperativ an, doch mitunter finden wir die Lüge-für-Kinder ›Erst war es nicht, dann war es‹ zu unbestimmt. Mit dem Werden haben wir noch größere Schwierigkeiten. Unser Denken versieht die Dinge in der Welt ringsum mit Etiketten, und wir interpretieren diese Etiketten als Abgrenzungen. Wenn Dinge unterschiedliche Etiketten haben, dann erwarten wir zwischen ihnen eine deutliche Trennlinie. Im
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