Die Gelehrten der Scheibenwelt

›autonomes Agens‹ definiert – als eine Wesenheit oder ein System, das Energie umleiten und sich reproduzieren kann. ›Autonom‹ bedeutet hier, daß sich ein System seine eigenen Regeln schafft, sein eigenes Verhalten festlegt. Es muß sich dabei keineswegs nur um herkömmliche Lebensformen handeln. Beispielsweise ist das quantenmechanische Vakuum eine brodelnde Masse von Teilchen und Antiteilchen, die auf erstaunlich komplizierte Weise erzeugt und vernichtet werden. Ein Vakuum besitzt mehr als genug Komplexität, um sich als autonomes Agens zu organisieren. Wenn es das täte, könnte die Quantenphysik ihre eigenen Regeln erfinden.
    Das andere bemerkenswerte Buch zu diesem Thema ist Lee Smolins Warum gibt es die Welt? Die Evolution des Kosmos (1997, dt. 1999), welches die Frage stellt: Können sich Universen entwickeln? Eine bemerkenswerte Eigenschaft unseres Universums ist das Vorhandensein von Schwarzen Löchern. Das sind Gebiete der Raumzeit, die so viel Masse enthalten, daß Licht (und Materie) nicht hinausgelangen können; sie entstehen beim Kollaps massereicher Sterne. Man hat allgemein angenommen, Schwarze Löcher seien selten, jetzt aber scheinen überall welche aufzutauchen, insbesondere in den Kernen der meisten Galaxien. Theoretische Arbeiten zeigen, daß die Konstanten unseres Universums ungewöhnlich günstig für das Hervorbringen Schwarzer Löcher sind.
    Warum? Smolin legt dar, daß jedes Schwarze Loch in unserem Universum im Grunde ein Tor zu einem anschließenden Universum ist, doch da nichts aus einem Schwarzen Loch herauskommen kann, können wir nicht wissen, was sich auf der anderen Seite dieser Tür befindet. Insbesondere könnte das anschließende Universum andere Grundkonstanten als unseres haben. Universen könnten sich also ›vermehren‹, indem sie durch Schwarze Löcher Baby-Universen knospen lassen, und die natürliche Auslese würde diejenigen begünstigen, die die meisten Abkömmlinge hätten – deren Konstanten automatisch günstig für die Entstehung Schwarzer Löcher wären. Wir leben also vielleicht in einem solchen Baby-Universum.
    Diese Theorie bringt ein paar Schwierigkeiten mit sich. Vor allem: Wie würde die Auslese funktionieren? Wie können Universen miteinander konkurrieren ? Aber es ist eine interessante, wenngleich ziemlich verrückte Idee. Und sie bietet eine konkrete Annahme, wie ein Universum seine Gesetze ›erfinden‹ kann: Zumindest einige könnten ihm bei der Entstehung aufgeprägt worden sein.
    Der Urknall könnte also mehr bewirkt haben, als nur Raum und Zeit ins Dasein zu bringen. Er könnte auch ›die‹ Regeln der Physik – diejenigen, die für unsere Welt gelten – hervorgebracht haben. Während des Werdens seiner ersten Augenblicke änderte das Universum fortwährend seinen Zustand und damit die Regeln, die es erreichte. In diesem Sinne ähnelte es einer Flamme, die ihre Zusammensetzung gemäß ihrer eigenen Dynamik und den von ihr verbrannten Dingen ändert. Flammen haben alle mehr oder weniger die gleiche Form, doch sie erben die Form nicht von einem »Vorgänger«. Wenn man ein Stück Papier anzündet, baut sich die Flamme selbst auf und benutzt dabei die Regeln des umgebenden Universums.
    In den ersten Augenblicken des Universums veränderten sich nicht nur Stoffe, Temperaturen und Größen. Die Regeln, nach denen sie sich veränderten, änderten sich ebenfalls. Wir denken nicht gern auf solche Weise: Wir möchten unveränderliche Gesetze, immer dieselben. Also suchen wir ›tiefere‹ Gesetze, die darüber bestimmen, wie sich die Regeln änderten. Vielleicht wird das Universum wirklich von diesen tieferen Gesetzen regiert. Aber vielleicht erschafft es sich seine Regeln einfach aus der Bewegung heraus selbst.

SIEBEN
    Jenseits des fünften Elements
    In der Stille der Nacht rechnete HEX. In seinen zahllosen Glasrohren eilten Ameisen hin und her. Rohe Magie funkelte über Gespinste aus dünnen Bronzedrähten und veränderte die Farbe, wenn sie ihren logischen Zustand wechselte.* [ * Angesichts von HEX’ ungewöhnlicher Struktur gibt es davon eine ganze Menge. Außer UND, ODER und entsprechenden Variationen existierten für HEX auch noch VIELLEICHT, MÖGLICHERWEISE, ANGENOMMEN und WARUM. Es fiel HEX ganz leicht, das Undenkbare zu denken. ] Im besonderen Zimmer neben den Bienenstöcken, die als Langzeitspeicher dienten, summte es. Jenes Etwas, das Parp machte, wurde gelegentlich aktiv. Große Räder drehten sich, hielten an und drehten sich