Die Gelehrten der Scheibenwelt
Universum sind aber eher Prozesse als Dinge am Werk, und ein Prozeß beginnt als ein Ding und wird zu einem anderen, ohne jemals eine deutliche Grenze zu überschreiten. Schlimmer noch, wenn es eine Grenze zu geben scheint, neigen wir dazu, drauf zu zeigen und zu rufen: »Das ist es!« – nur weil wir nicht wissen, worüber wir sonst in Erregung geraten sollten.
Wie oft waren Sie bei einer Diskussion, wo jemand sagte: »Wir müssen entscheiden, wo wir die Grenze ziehen«? Beispielsweise scheinen die meisten Menschen zuzustimmen, daß Frauen in den frühesten Stadien einer Schwangerschaft abtreiben dürfen, aber nicht in den letzten. ›Wo man die Grenze zieht‹, ist jedoch heftig umstritten – und natürlich gibt es Leute, die sie gern am einen oder anderen äußersten Ende ziehen möchten. Es gibt ähnliche Debatten darüber, wann genau ein sich entwickelnder Embryo ein Mensch mit bürgerlichen und moralischen Rechten wird. Bei der Empfängnis? Wenn sich das Gehirn bildet? Bei der Geburt? Oder war er immer potentiell ein Mensch, sogar als er noch getrennt als eine Eizelle und ein Spermium ›existierte‹?
Die Philosophie der ›Grenzziehung‹ bringt Leuten mit geheimen Absichten einen erheblichen politischen Vorteil. Die Methode, das zu bekommen, was man will, besteht darin, daß man die Grenze zunächst an einer Stelle zieht, wo niemand etwas dagegen hat, und sie dann nach und nach dorthin verschiebt, wo man sie wirklich haben will, wobei man sich die ganze Zeit auf die Kontinuität beruft. Wenn zum Beispiel Zustimmung erzielt wurde, daß Kindestötung Mord ist, wird die Grenze mit dem Etikett ›Mord‹ dann bis zum Augenblick der Empfängnis zurückgeschoben; von der Zustimmung, daß jeder jegliche Zeitung lesen darf, die er nur will, kommt man zum Verfechten des Rechts, das Rezept für Nervengas ins Internet zu stellen.
Wenn wir weniger besessen von Etiketten und Unterteilungen wären, könnten wir viel leichter erkennen, daß das Problem hier nicht in der Frage liegt, wo man die Grenze ziehen soll, sondern darin, daß das Bild von der Grenzziehung unpassend ist. Es gibt keine scharfe Trennlinie, nur Schattierungen von Grau, die unmerklich ineinander übergehen – wiewohl dennoch ein Ende offensichtlich weiß und das andere ebenso klar schwarz ist. Ein Embryo ist kein Mensch, aber im Laufe seiner Entwicklung wird er allmählich zu einem Menschen. Es gibt keinen magischen Augenblick, wo er von Nicht-Mensch zu Mensch überwechselt, vielmehr geht er kontinuierlich von einem Zustand in den anderen über. Leider operiert unser Rechtssystem mit Schwarz-Weiß-Begriffen – legal oder illegal, keine Grauwerte –, und das schafft falsche Zuordnungen, verstärkt durch unseren Gebrauch von Worten als Etiketten. Eine Art dreiwertige Zuordnung wäre vielleicht besser: dieses Ende des Spektrums ist legal, jenes Ende ist illegal, und dazwischen liegt eine Grauzone, die wir nach besten Kräften meiden sollten, wenn irgend möglich. Wenn wir dazu nicht imstande sind, können wir wenigstens den Grad der Kriminalität und die angemessene Strafe dem gegebenen Ort im Spektrum anpassen, wo die Tat zu liegen scheint.
Selbst so offensichtliche Schwarz-Weiß-Unterschiede wie lebendig/tot oder männlich/weiblich erweisen sich bei genauerer Betrachtung eher als kontinuierlicher Übergang denn als scharfe abgegrenzte Bereiche. Schweinewurst vom Fleischer enthält viele lebende Schweinezellen. Mit der modernen Technik könnte man sogar ein erwachsenes Schwein aus einer solchen Zelle klonen. Das Gehirn eines Menschen kann aufgehört haben zu funktionieren, aber sein Körper kann mit medizinischer Hilfe am Leben erhalten werden. Es gibt beim Menschen mindestens ein Dutzend unterschiedliche Kombinationen der Geschlechtschromosomen, von denen nur XX das traditionell weibliche und XY das traditionell männliche Geschlecht verkörpern.
Obwohl der Urknall eine wissenschaftliche Geschichte vom Beginnen ist, wirft er auch wichtige Fragen über das Werden auf. Die Urknall-Theorie ist ein schönes Stück Wissenschaft – fast völlig in Übereinstimmung mit dem Bild, das wir jetzt von der atomaren und subatomaren Welt haben, von den verschiedenen Arten von Atomen, ihren Protonen und Neutronen, ihren Elektronenwolken und von den exotischeren Teilchen, die wir sehen, wenn kosmische Strahlen auf unsere Atmosphäre treffen oder wenn wir den vertrauteren Teilchen Gewalt antun, indem wir sie sehr hart aufeinanderschießen.
Die Physiker haben
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