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Die Gelehrten der Scheibenwelt

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Titel: Die Gelehrten der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Unter dem Elefanten glänzte nur die ferne Sonne. Doch daneben zeichnete sich etwas ab, das trotz stadtgroßer Schuppen, pockennarbiger Krater und einer zerklüfteten mondartigen Landschaft der Paddelfuß einer Schildkröte sein mußte.«
    Es wird allgemein angenommen, die Menschen im Altertum hätten sich die Erde aus all den offensichtlichen Gründen des gesunden Menschenverstandes flach vorgestellt. In Wahrheit haben die meisten alten Zivilisationen, die Aufzeichnungen hinterlassen haben, herausgefunden, daß die Erde rund sein muß. Schiffe kamen von unsichtbaren Ländern jenseits des Horizonts zurück, und am Himmel gaben eine runde Sonne und ein runder Mond einen deutlichen Hinweis …* [ * Die meisten Zivilisationen‹ heißt freilich nicht ›die meisten Leute‹. In der gesamten Geschichte des Planeten haben ›die meisten Leute‹ sich nie damit befassen müssen, welche Gestalt die Welt hat, sofern sie nur irgendwo die nächste Mahlzeit lieferte. ]
    Das ist die Stelle, wo sich Wissenschaft und gesunder Menschenverstand überschneiden. Wissenschaft ist gesunder Menschenverstand, auf die Tatsachen angewendet. Wenn man den gesunden Menschenverstand in dieser Weise anwendet, kommt man oft zu Schlußfolgerungen, die sich sehr von den Annahmen des gesunden Menschenverstandes unterscheiden, denen zufolge das Universum sich wirklich so verhält, wie es den Anschein hat. Natürlich hilft er einem auch zu verstehen, daß, wenn man auf einer sehr großen Kugel lebt, diese über eine ziemlich lange Strecke ziemlich flach wirkt. Und wenn die Gravitationskraft immer zum Mittelpunkt der Kugel zeigt, dann rollen die Dinge tatsächlich nicht herum oder fallen herunter. Aber das sind Feinheiten.
    Um 250 v. Chr. überprüfte ein Grieche namens Eratosthenes die Theorie, daß die Erde eine Kugel ist, und er errechnete sogar die Größe der Kugel. Er wußte, daß in der Stadt Syene – dem heutigen Assuan in Ägypten – sich die Mittagssonne am Grunde eines Brunnens spiegelte. (In Ankh-Morpork würde das nicht funktionieren, weil dort das Brunnenwasser oft fester als der umgebende Brunnen ist.) Eratosthenes brachte ein paar weitere einfache Tatsachen ins Spiel und erhielt viel mehr, als er eingesetzt hatte.
    Es ist eine Frage der Geometrie. Der Brunnen war genau nach unten gegraben worden. Also mußte die Sonne in Syene genau oben stehen. Doch in Eratosthenes Heimatstadt Alexandria im Nildelta kam das nicht vor. Mittags, wenn die Sonne am höchsten stand, warf Eratosthenes unverkennbar einen Schatten. Er schätzte, daß mittags der Winkel zwischen der Sonne und der Senkrechten knapp über 7° betrug – ziemlich genau 1 / 50 von 360°. Dann kam der Sprung der Deduktion. Die Sonne befindet sich am selben Ort, egal, von wo aus sie betrachtet wird. Aus anderen Gründen war bekannt, daß die Sonne sehr weit von der Erde entfernt sein mußte, und das bedeutete, daß die Sonnenstrahlen, die in Alexandria auf die Erde trafen, ziemlich genau parallel zu denen verliefen, die in Syene ankamen. Eratosthenes erkannte, daß eine runde Erde den Unterschied erklären würde. Er schloß, daß die Entfernung von Syene nach Alexandria 1 / 50 des Erdumfangs betragen mußte. Doch wie weit war das?
    Bei solchen Gelegenheiten zahlt es sich aus, mit den Kameltreibern auf gutem Fuß zu stehen. Nicht etwa deshalb, weil der größte Mathematiker der Welt ein Kamel namens Du Mistvieh wäre, wie es auf der Scheibenwelt der Fall ist (siehe Pyramiden ), sondern weil die Kamelkarawanen von Alexandria nach Syene 50 Tage bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 Stadien pro Tag brauchten. Also betrug die Entfernung von Alexandria nach Syene 5000 Stadien und der Erdumfang 250 000 Stadien. Das Stadium war ein griechisches Längenmaß, und niemand weiß, wie lang es war. Gelehrte glauben, daß es 157 Meter betrug, und wenn sie recht haben, kam Erastothenes auf 39 690 km. Der tatsächliche Wert beträgt etwa 40 042 km, also kam Eratosthenes der Wahrheit erstaunlich nahe. Es sei denn – tut uns leid, aber wir sind unverbesserlich mißtrauisch –, die Gelehrten hätten von der Antwort her zurückgerechnet.
    An dieser Stelle begegnen wir einer anderen Eigenschaft wissenschaftlichen Denkens. Um Vergleiche zwischen Theorie und Experiment ziehen zu können, muß man das Experiment in den Begriffen seiner Theorie interpretieren. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, erzählen wir die Geschichte von Rattamspiesthenes, einem frühen Verwandten von

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